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22.-29.04.2023 Rückbesuch: Traben-Trarbach in Athen
Die Schülerbegegnung führte Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse des Gymnasiums Traben-Trarbach und der Deutschen Schule Athen auf eine Reise in die gemeinsame Geschichte beider Länder – erst in Rheinland-Pfalz, dann in Griechenland: Im Dorf Distomo hatte die Gruppe Ende April die Chance, mit dem Zeitzeugen Argyris Sfountouris, der 1944 das Massaker dort überlebte, zu sprechen.
Im September 2022 ist erstmals ein Erasmus+-Austauschprogramm zwischen der Deutschen Schule Athen (DSA) und dem Gymnasium Traben-Trarbach in Rheinland-Pfalz ins Leben gerufen worden. Die SchülerInnen der DSA erinnert Projektgruppe fühlten sich sehr wohl in ihren Gastfamilien in Traben-Trarbach und erlebten ein emotionales Austauschprogramm. Dazu gehörte etwa ein Besuch im Landtag in Mainz inklusive Planspiel, ein Gespräch mit der Zeitzeugin Edith Erbrich in den Kammerspielen Mainz und ein Besuch der Synagoge Trier.
Der Kontakt zwischen beiden Gruppen blieb bestehen und rund ein halbes Jahr später war es dann endlich soweit: Die zwölf Schüler und sechs Schülerinnen des Leistungskurses Geschichte starteten Ende April mit ihrer Lehrerin Anette Heintzen zum lang ersehnten Rückbesuch nach Athen. Der thematische Schwerpunkt des Austauschprogramms lag auf der Gedenkarbeit, die in beiden Schulen eine wichtige Rolle spielt. Das Zeitzeugengespräch mit dem 82-jährigen Argyris Sfountouris im Kloster Ossias Loukas bei Distomo wird wohl niemand vergessen können. Doch dazu später mehr…
Die SchülerInnen des Leistungskurses Geschichte des Gymnasiums Traben-Trarbach berichten in diesem Beitrag von Ihren Eindrücken und Erlebnissen ihrer achttägigen Reise nach Athen.
✎ Beitrag: SchülerInnen des Leistungskurses Geschichte, Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen: 22.-29.04.2023
Bei unserer Ankunft in Athen gegen Mitternacht war uns etwas seltsam zumute, denn unser Hotel lag in einer der ärmeren Gegenden Athens. Spätestens nach der Teilnahme an Shedia – Invisible Tours sollte sich unsere Sicht auf die Gegend und die Situation vieler AthenerInnen komplett ändern….
Los ging der neue Tag mit einer Führung auf der Akropolis mit Vanda Refene-Epstein und einem anschließenden Besuch des Akropolismuseum mit den DSA erinnert SchülerInnen. Auch die Wachablösung am Syntagmaplatz stand auf dem Programm.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
24. April 2023 – Athen
Der Tag stand im Zeichen von Workshops an der DSA zusammen mit den „DSA erinnert“-SchülerInnen. Unsere Absicht war es das Zeitzeugengespräch mit Argyris Sfountouris vorzubereiten. Der Tag begann mit einer herzlichen Begrüßung jener SchülerInnen, die schon im September bei uns in Traben-Trarbach gewesen waren. Um auch die neuen Mitglieder der „DSA erinnert“-Gruppe kennenzulernen, sollten wir uns nach Geburtsdaten von jung nach alt anordnen. Zur Vorbereitung auf das Zeitzeugengespräch versuchten wir wichtige Stationen aus dem von Leben von Argyris Sfountouris in eine Zeitleiste zu übertragen. Ebenso beschäftigten wir uns mit Auszügen aus einem Interview mit Herrn Sfountouris des MOG-Zeitzeugenarchivs (Memories oft he Occupation in Greece). Dabei sollten wir die Textteile in eine richtige Reihenfolge bringen und auf diese Weise den Interviewabschnitt rekonstruieren.
Eine Schulführung von den „DSA erinnert“- SchülerInnen durch ihre Klassenräume, die Kunsträume, die unseren sehr ähnelten, die Bibliothek, das Schwimmbad und den neuen Sportplatz war natürlich auch Teil des Workshopprogramms.
Die Schulführung gab uns die Gelegenheit viele interessante Details über den Schulalltag der SchülerInnen an der DSA zu erfahren, über die zum Teil sehr langen Schulwege, das Schulgeld, den Erwerb der deutschen Sprache vom Kindergartenalter an, den zusätzlichen Nachhilfeunterricht bis zu den Hobbys der SchülerInnen, wofür oft nicht viel Zeit übrigbleibt. Manche schaffen es allerdings doch Zeit dafür zu finden, wie zum Beispiel Amalia und Constanze, die gerne Klettern. Mario macht Leichtathletik, Yannis spielt Hockey und Niko Volleyball. Constanze erzählte uns, dass sie sich viel mit ihren FreundInnen trifft, zum Beispiel abends in Bars, was in Griechenland eigentlich kein Problem ist, da so gut wie nie nach dem Ausweis gefragt wird. Ebenso kommt man auch unter 18 Jahren in so manche Clubs gut rein.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
25. April 2023 – Athen
Shedia ist eine Organisation, die im Zusammenhang mit der Finanzkrise in finanzielle Not geratenen Menschen wieder einen Lebensinhalt, eine Aufgabe ermöglicht. Sie bietet z.B. Schlafplätze und ärztliche Versorgung an. Das Konzept geht aber darüber hinaus: Es gibt ein eigenes Café/Restaurant, unterstützt von einem Sternekoch, designed von einem Stararchitekten. Dort finden Obdachlose eine Arbeit und danach hoffentlich irgendwann auch wieder eine Wohnung. Unter dem Vordach der Organisation hängen Schiffe für jeden Obdachlosen, der einen Arbeitsplatz gefunden hat.
Die Obdachlosenzeitung Shedia hat viele AbonnentInnen und es gibt sie inzwischen auch in Braille-Schrift (Blindenschrift). Aus Altpapier werden nachhaltige Alltagsgegenstände und Kunstobjekte hergestellt, die zugunsten der Obdachlosen verkauft werden. Eine bemerkenswerte Initiative, die neben Stadtrundgängen auch Workshops anbietet.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
Das Unsichtbare sichtbar machen
Armut in Griechenland ist meist kein Thema in den deutschen Medien. Touristen kennen von Athen nur die antiken Sehenswürdigkeiten. Umso wichtiger ist es, nicht nur die Touristen-Hotspots der Stadt kennenzulernen. Invisible Tours bietet eine Tour durch Athener Viertel an, die früher gehobene/vornehmere Wohnviertel waren, aber jetzt ziemlich heruntergekommen sind. Geführt wurden wir von Akis Marangozakis, einem Sozialarbeiter und Michalis, der 2012 in die Armut gerutscht ist, nachdem ihm der Laster seiner Firma gestohlen wurde. Eine Diebstahlversicherung für LKWs ist in Athen nicht für jede Person erschwinglich. Seitdem lebt er auf der Straße.
Vor der Corona-Pandemie gab es mehr soziale Hilfsangebote für Obdachlose, beispielsweise durch öffentliche Speisungen, für die man aber nachweisen musste, dass man obdachlos war. Nach der Pandemie stieg die Zahl der Obdachlosen, ebenso wie die Zahl der Drogenabhängigen. Die staatliche Sozialfürsorge und ihre Dienstleistungen wurden gekürzt. Das verschärft die soziale Problematik in Athen.
Am Nachmittag besichtigten wir außerdem noch das Nationalarchäologische Museum.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
26. April 2023 – Distomo
Der Höhepunkt der Reise stand an: Das Zeitzeugengespräch mit Argyris Sfountouris. Es fand im wunderschönen Vorhof unter einer riesigen Platane der Klosteranlage Ossias Loukas statt. Das Kloster liegt nicht weit entfernt vom Ort Distomo.
Argyris Sfountouris ist einer der wenigen Überlebenden des Massakers in Distomo. Am 10. Juni 1944 wurde der 2. Kompanie des I / 7-Bataillons der 4. SS-Polizei-Division befohlen, das Gebiet von Partisanen zu „säubern“. Daraufhin massakrierten sie brutal 218 Dorfbewohner ohne Vorwarnung und unabhängig von Alter oder Geschlecht.
Sfountouris kam als erster Sohn und jüngstes von vier Geschwistern zur Welt. Seine Eltern und viele Familienangehörige kamen bei dem Massaker ums Leben. Seine Großeltern und seine Schwestern überlebten. Sfountouris wuchs danach in einem Waisenhaus und Kinderheim in Piräus und Athen auf und wurde mit acht Jahren zusammen mit anderen Waisenkindern in das Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen/Schweiz gebracht. Später studierte er an der ETH Zürich Mathematik, Kernphysik und Astrophysik, promovierte und wurde Physiklehrer. Parallel begann er zu schreiben und griechische Texte zu übersetzen. In den 1980er Jahren arbeitete er als Entwicklungshelfer.
Im Anschluss an das Zeitzeugengespräch führten uns die DSA erinnert SchülerInnen durch das Kloster.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
27. April 2023 – Athen
Am Vormittag besuchten wir das Jüdische Museum. Frau Maria Vasilikou war unsere Referentin, die uns durch das Museum führte. U.a. ist sie auch Autorin der Lerneinheit „Shoah“ der Bildungsplattform MOG (Memories oft he Occupation in Greece).
Am Nachmittag stand ein Besuch einer wichtigen Gedenkstätte an die Zeit der deutschen Okkupation auf dem Programm: Korai 4 (Memorial Site 1941-1944). Dort befand sich der berüchtigte Gestapo-Folterkeller. In diesem hielten die deutschen Besatzer griechische WiderstandskämpferInnen, aber auch unzählige ZivilistInnen in engen Zellen gefangen.
An den Wänden wurden viele Jahrzehnte nach der deutschen Besatzung Zeichnungen der Gefangenen freigelegt. 1991 wurde die Korai 4 zur „denkmalgeschützten Gedenkstätte“ erklärt. Die Haftanstalt wurden restauriert, damit die Graffiti und Botschaften der Häftlinge an den Metalltüren, Wänden und Fenstern auch zukünftigen Generationen erhalten bleiben. Den ganzen Besuch über herrschte bei uns ein sehr beklemmendes Gefühl.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
28. April 2023 – Insel Ägina
Auf zu einem Ausflug auf die Insel Ägina! Den Tag verbrachten wir mit Volleyballspielen am Strand, Eisessen und dem Erkunden der Insel. Schon die Fahrt auf der Fähre war besonders, weil die meisten von uns selten auf das offene Meer kommen. Äginas gesamte Szenerie war wunderschön. Das konnten wir auf dem Plateau des Aphaiatempels am besten sehen.
In der Nähe des Strandes haben wir in verlassenen Gebäuden eine Ziege entdeckt, was zum Namen der Insel passt: Ägina, die Ziegeninsel. Abends trafen sich alle zu einem letzten Abendessen und verabschiedeten sich voneinander.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
29. April 2023 – Athen
Mit Hilfe einer von der DSA erinnert-AG entwickelten Interaktiven Stadtkarte wurden an unserem letzten Tag Stätten der nationalsozialistischen Besatzungsgeschichte in Athen sichtbar. Dann ging es auch schon zurück in die Heimat.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
Ein besonderes Erlebnis: Austausch mit griechischen Feuerwehrleuten
Wir saßen eines Abends zu viert in einem Restaurant mitten in einer Fußgängerzone und haben zu Abend gegessen als in einem Gebäude neben unserem Restaurant ein Feuer ausbrach. Die Feuerwehr sperrte die Gegend großräumig ab. Ein Feuerwehrfahrzeug und vier bis fünf Feuerwehrmänner waren dort im Einsatz. Sie mussten immer wieder einen Balken im Dachgeschoss löschen, der ab und zu erneut zu qualmen anfing.
Nachdem wir im Restaurant fertig gegessen hatten, haben wir uns vor die Absperrung gestellt und alles beobachtet. Luna, die Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist, hat sich sehr für den Einsatz interessiert und als die Feuerwehrmänner das bemerkten, kamen wir mit ihnen ins Gespräch. Wir durften hinter die Absperrung und einer der Männer hat Luna das Feuerwehrauto gezeigt. Natürlich mussten wir Englisch sprechen, was manchmal ein bisschen schwierig war. Aber wie sagt man so schön: Wir verständigten uns mit Händen und Füßen. Die Männer waren bereits seit 23 Stunden im Dienst und hatten noch eine Stunde am Einsatzort zu verbringen. Da begannen wir die Unterschiede der Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland und Griechenland zu begreifen.
Als sie uns dann noch ihren Nachtisch schenkten, redeten wir weiter mit ihnen. Sie interessierten sich sehr für unsere Athen-Reise und wir waren interessiert an ihren Ansichten über Griechenland und Deutschland. Wir sprachen über Schule, Kultur, Sprachen und auch über Distomo und die Nazi-Besatzung. Sie haben uns gefragt, wie intensiv das Thema in deutschen Schulen gelehrt wird. Wir antworteten, dass man zwar sehr viel über den Nationalsozialismus lernt, aber das Thema Griechenland dabei etwas untergeht. Sie waren sehr erfreut darüber, dass wir uns darum bemühen, den Menschen in Deutschland die Geschichte von Griechenland und Distomo etwas näher zu bringen. Im griechischen Schulsystem wird, laut den Feuerwehrmännern, viel über Distomo gesprochen.
Es gibt viele kulturelle Unterschiede, aber es gibt auch eine gewisse freundschaftliche Verbindung zwischen Deutschland und Griechenland. Es war toll, sich mit Einheimischen auszutauschen und anzufreunden. Aus Respekt vor einem so langen Arbeitstag und als Dankeschön für die Quarkbällchen, die sie uns geschenkt hatten, brachten wir den Feuerwehrmännern später noch ein Eis zum Feierabend. Das war ein Highlight der Woche und wir hatten sehr viel Spaß miteinander.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
Was bleibt
Uns fiel immer wieder auf, dass in Griechenland Musik eine große Rolle spielt. Moritz kaufte sich am ersten Tag eine Ukulele, die er, wie Mario, ein Schüler der „DSA erinnert“-Projektgruppe, im September bei uns auch, immer dabeihatte. Sehr zur Freude der Gruppe, aber auch anderer MithörerInnen.
Eine Challenge während des Austausches bestand darin, wer die meisten Katzen an einem Tag zählte – es waren einige!
Besonders prägend waren die intensiven Begegnungen mit den griechischen AustauschschülerInnen, aber auch das Kennenlernen von Shedia. „Es war eine einmalige Chance, eine kulturreiche Stadt von so vielen Seiten zu sehen.“ reflektiert Emmy. „Der Austausch war eine fantastische Gelegenheit, nicht nur über Geschichte und Kultur, sondern auch etwas über uns selbst zu lernen.“, sagt Finn. Tim fand die Studienreise so faszinierend, dass er sie hoffentlich nie vergessen wird.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
Alle Teilnehmenden bedanken sich bei der EU und dem Erasmus+-Programm für das Ermöglichen dieses Austauschs. Die entstandenen Freundschaften und Erinnerungen an die vielen gemeinsamen Unternehmungen werden lange Bestand haben und wir verstehen Griechenland jetzt viel besser.
Bildquelle: Schülerbegegnung mit dem Gymnasium Traben-Trarbach in Athen, April 2023, Fotos: LK Geschichte Gymnasium Traben-Trarbach und Anette Heintzen
18.-23.06.2023
DSA erinnert goes Berlin