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Unsere Auseinandersetzung mit dem Lebenslauf und der Reifeprüfung der Schülerin Rosalie haben uns nachdenklich gemacht. Sehr gerne würden wir mit der damaligen Schülerin Rosalie selbst ein Gespräch führen, gäbe es die Möglichkeit dazu. Rosalie wäre heute 94 Jahre alt. Es bestünde also rein theoretisch die Möglichkeit, dass Rosalie noch irgendwo in Griechenland oder Deutschland lebt. Wir wissen es leider nicht. Ihre Spur verliert sich für uns im Jahr 1944, nachdem sie ihre Reifeprüfung absolviert hat. Unsere Überlegungen und Gedanken, die wir eigentlich gerne mit Rosalie teilen würden, teilen wir hier mit euch, den Leserinnen und Lesern unserer Webseite. Gerne könnt ihr mit uns in Diskurs treten und mit uns über die Haltung und Einstellung Rosalies diskutieren.

✎  Beitrag: Aristomenis Zeus Kotatis, Nikolaos Votsis

Die deutschen Besatzer - Bewunderer und Verehrer der Griechen?

Wer Rosalies Reifeprüfungsaufsatz aufmerksam liest, wird feststellen, dass sie die Verehrung der griechischen Antike sowohl in der deutschen Literatur als auch in der Musik sehr bewundert. Rosalie behauptet, dass es unter den „europäischen Völkern wohl keines gebe, dass mehr Verständnis für das Griechentum habe als das Deutsche“. So zählt sie die großen deutschen Dichter und Denker von J. W. Goethe bis G. Hauptmann auf, um dieses Verständnis und diese Bewunderung zu belegen.

Die angeblich großen Verehrer der griechischen Antike, Kunst und Kultur besetzen und erobern im Frühjahr 1941 Griechenland und errichten eine grausame Terrorherrschaft. Wir fragen uns natürlich, ob Rosalie die Brutalität der deutschen Besatzungsherrschaft nicht erlebt, von den schrecklichen deutschen Kriegsverbrechen und der Hungersnot nie etwas gehört oder gesehen hat?  Hat sich Rosalie nie gefragt, wie es sein kann, dass ein Volk, das angeblich die griechische Antike so sehr verehrt, sich so respektlos, unmenschlich und barbarisch gegenüber den Griechen und deren Kultur verhält? Hat sie nicht gesehen, dass die Nationalsozialisten mit ihrem kulturellen Erbe vollkommen gebrochen haben, dass der Nationalsozialismus einen massiven Zivilisationsbruch darstellt. Somit könnte man gleichzeitig interpretieren, dass sie den Krieg und die Kriegsverbrechen völlig ausgeblendet hat. Nur einmal in ihrem Lebenslauf nimmt sie kurz Bezug auf den Krieg: „Ich hoffe, dass mein Ziel, das ich mir gesetzt habe, in Erfüllung geht, obwohl die Zukunft auch weitgehend durch den Verlauf des Krieges bestimmt ist.” Hier klingt zumindest eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Krieg und seinen Auswirkungen an.

Weiterhin beschäftigt uns die Frage, ob sich die Schülerin überhaupt eine eigene Meinung bilden konnte oder ob sie durch die nationalsozialistische Indoktrination zu sehr verblendet war?

Die Schülerin scheint sich ihre eigene persönliche Meinung gebildet zu haben, welche sie auch ausführlich in ihrer Reifeprüfung wiedergibt, und diese ist betont deutschfreundlich. Die Deutschen, die Wehrmachtssoldaten auf griechischem Boden eingeschlossen, sind in ihren Augen Sympathisanten und Bewunderer des Griechentums. Man könnte meinen, dass sie mithilfe der deutschen klassischen Literatur indirekt versucht, die Besetzung durch die Deutschen zu „verharmlosen”. Jedoch ist sie sich gleichzeitig auch bewusst, dass die Deutschen im Land sind und dass sie Krieg führen.

Aus unserer Sicht ist es heute höchst unangebracht und gar nicht legitim, Goethes Sicht auf die griechische Antike mit der der deutschen Wehrmachtssoldaten gleichzustellen. Das ist für uns sehr abwegig.

Goethe hatte die antiken Griechen als Vorbild angesehen und war davon überzeugt, dass die klassische Antike die Verkörperung einer positiv besetzten Dreieinigkeit war (Güte, Wahrheit und Schönheit). Der Nationalsozialismus verkörpert das genaue Gegenteil, und zwar Menschenverachtung, Lüge und Hässlichkeit. Gemäß der NS-Geschichtsauffassung sah man in den antiken Griechen „Arier”. Dennoch hielt dieser Gedanke die Deutschen nicht davon ab, Griechenland zu plündern, auszurauben und ganze Ortschaften dem Erdboden gleichzumachen.

Rosalie erwähnt neben Goethe und Joachim Winckelmann (1717 -1768), einem bedeutenden Archäologen und Kunstschriftsteller der Aufklärung, auch noch drei weitere Schriftsteller und Dramatiker: Gerhard Hauptmann, Rudolf G. Binding und Erhart Kästner. Alle drei waren durchaus empfänglich für den Nationalsozialismus und wurden vom NS-Regime nicht mit Schreibverbot belegt. Erhart Kästner wird im Jahr 1941 sogar als Dolmetscher für das Luftgaukommando nach Athen abkommandiert. Rosalie beschreibt ihn als „Dichter im Waffenrock“. Dort erhält er den Auftrag für ein Griechenlandbuch zu arbeiten. 1942 erschien in Berlin „Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege“. Wilhelm Mayer, der General und Befehlshaber im Luftgau Südost/Athen, verfasst persönlich das Geleitwort: „(…) Ich hoffe, daß dieses Buch, von Soldaten für Soldaten geschrieben, von persönlichem Erleben und echter Begeisterung beseelt, dazu beiträgt, daß Euch dieses Land, in das Euch der Befehl des Führers gestellt hat, zur bleibenden Erinnerung wird!“ ¹ 

In der intensiven Auseinandersetzung ist uns Rosalie sehr vertraut geworden. Viele Fragen zu ihrer Person, zum Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen an der damaligen DSA bleiben aber dennoch im Dunklen der Geschichte unbeantwortet.

Quelle: ¹ Prinzinger, Erhart Kästner auf Kreta, Literarische Wanderungen eines Soldaten: Erhart Kästner auf Kreta, ein Artikel von Michaela Prinzinger über den umstrittenen Literaten Erhart Kästner, https://michaela-prinzinger.eu/allgemein/literarische-wanderungen-eines-soldaten-erhart-kaestner-auf-kreta/, aufgerufen am 29.09.2020.

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