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Hier findet ihr das Transkript des Reifeprüfungsaufsatzes der Schülerin Rosalie im Fach Deutsch 1944, den Lebenslauf und das Gutachten der Lehrer über Rosalie.

✎  Transkript: Aristomenis Zeus Kotatis, Nikolaos Votsis, Alex Tolias

Reifeprüfungsaufsatz im Fach Deutsch: Thema: „150 Jahre Begegnung von Deutschtum und Griechentum“ (Darzulegen an ausgewählten Beispielen)

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Betrachtet man die Völker Europas, so gibt es wohl keines, was mehr Verständnis für das Griechentum aufbrächte, als das (d)eutsche. Verständnis, rein aus Bewunderung für die Menschen des antiken Griechenlands, ihre Schöpfungskraft und ihre unnachahmlichen Werke; mehr Verständnis, als leider der Mensch des heutigen Griechenlands, der moderne Grieche, für seine großen Vorfahren besitzt. Auf allen Gebieten in der Archäologie der Bildhauerkunst, der Literatur und der Musik,

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fand und findet bis in die heutige Zeit, eine Begegnung des deutschen Geistes mit griechischem Geist statt. Deutsche Archäologen trugen dazu bei, längst vergessene Kunstwerke, Zeugen von der Schaffungskraft der Alten, in unermüdlicher, langer Arbeit, wieder aus Licht des Tages zu fördern, und so vor dem geistigen Auge der Menschlichkeit eine längst versunkene Welt wieder aufzubauen, die Welt der Menschen der Antike. Einer der viel dazu beigetragen hat, ist der Archäologe Schliemann. Ihm verdanken wir größtenteils seine erfolgreichen Ausgrabungen in Troja, die 12 Jahre seines Lebens (1872-82) in Anspruch

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nahmen und für ihn sein Lebenswerk [bedeuteten]. Die Fühlung[]nahme des Deutschtums mit dem Griechentum, geht ungefähr 150 Jahre zurück, bis in die Anfänge der Klassik. Die Klassiker waren es, die [eine] Beziehung zur Antike suchten und fanden. An ihrer Spitze gewisserma[ß]en als ihr Vorläufer und Wegweiser steht Johann [Joachim Winckelmann]. Er war es, der zum erstenmal auf die Bedeutung der alten Griechen, die für ihn “das Volk der leib-seelischen Ganzheit” waren, hinwies. Er wies der Klassik den Weg zur Antike. Allein die Werke der Griechen, Werke, die von einer

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“edlen Einfalt und stillen Größe” zeugten, fand er wert als Vorbild zu gelten und nachgeahmt zu werden. Den Werken seiner unnatürlichen, gekünstelten Zeit setzte er die Werke der alten Griechen entgegen mit den Worten: ”die Alten konnten Wahres schaffen, weil sie Wahres sahen.” Auch Goethe, einer der größten Deutschen, fand in seiner “Iphigenie auf Tauris” den Weg zur Antike. Im Gegensatz zur antiken Tragödie treten in Goethes “Seelendrama” rein menschliche Gefühle stark in den Vordergrund, und der Ausgang des Ganzen wird menschlicher Gerechtigkeit überlassen. Nicht durch List und Betrug versucht die

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Tochter des Atridenhauses ihre Freiheit zu verlangen, sondern indem sie ihr Geschick in die Hände des “Menschen Thoas” legt [,] und ihm die Bestimmung über ihr Schicksal [überläßt]. Neben Goethe tritt Schiller. Er nimmt in seinen Balladen die Fühlung mit der Antike auf. In “Der Ring des Polykrates”, “Kraniche des Ibykus”, “Die Bürgerschaft” lässt er den antiken Menschen lebendig werden und führt ihn seiner Nachwelt vor Augen. Ein Griechenverehrer, in einem viel tieferen Sinn [,] als es der Gräkomane Schlegel je gewesen ist, war Friedrich Hölderlin. Er trachtete nach einer Wiedergeburt des Griechentums

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im Deutschtum. Sein Sehnsuchtsroman “Hyperion” oder “Der Eremit in Griechenland” zeugt von einem starken Einfühlungsvermögen und einer tiefen Bewunderung in die Menschen und das Land, das er nie gesehen hat und seinen Zeitgenossen und seiner Nachwelt doch so anschaulich vor Augen führt. Viele Klassiker haben sich noch mit der Antike beschäftigt, und die Worte Winckelmanns sind von vielen ihrer Epigonen variiert worden. Der 1936 verstorbene Dichter Rudolf G. Binding lässt seine Bewunderung für Griechenland in seinem Werk “Erlebtes Leben” [,] zum Ausdruck kommen. Auf ihn macht das Licht Griechenlands, seine Helle,

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die manches stärker heraushebt und manchem, weniger Schönen doch einen lichten Glanz verleiht, einen großen Eindruck. Zu denen, die sich erfolgreich mit Griechenland beschäftigt haben, gehört der noch lebende Dichter Gerhart Hauptmann. Neben “Griechischem Frühling” und “Iphigenie in Delphi” tritt das jetzt erst erschienene Werk “Iphigenie in Aulis” als eines der bedeuten[d]sten Werke [dieses] großen Dichters. So wären noch viele anzuführen, die sich mehr oder weniger erfolgreich mit dem Griechentum beschäftigt haben. Neben die Literatur tritt die Musik; hierbei wäre der noch lebende Komponist

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Strauß mit seiner Oper “Elektra” [zu nennen]. Besonders bedeutend ist, daß die Beziehungen des Deutschtums mit dem Griechentum auch jetzt in dieser schweren Zeit des Krieges aufrecht erhalten bleiben und Griechenland auch jetzt Anregung für einige, den Waffenrock tragende Dichter bleibt. So erschien vor [k]urzem ein Werk mit dem Titel “Griechenland”, herausgegeben von einem Deutschen, den der Krieg in dieses Land geführt hat und der es schildert, wie er es heute sieht, nicht [als] mit den Augen eines Gegners, sondern eines verständnisvollen Bewunderers. Auch Kästner ist, wie Binding, beeindruckt von dem Licht, das sich über die

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griechische Landschaft ergießt und manches viel schöner erscheinen lässt, als es in Wirklichkeit ist. Ein Buch, “Der Peleponnes (Landschaft, Kultur, Geschichte)”, von deutschen Soldaten zusammengetragen, erschien ebenfalls vor kurzer Zeit. Diese Werke, im Krieg entstanden, zeugen alle von der Bewunderung und [dem] Verständnis, die der deutsche Mensch auch jetzt für Griechenland, obwohl er ihm eigentlich feindlich gegenüberstehen müßte, aufbringen wird. Doch darf man sich nicht nur auf Literatur, Bildhauerkunst und Musik konzentrieren, nur die engen Beziehungen, die zwischen Deutschland und Griechenland bestanden und darzulegen. 

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Trotz des Krieges blieben die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder aufrechterhalten. Trotz des Krieges, in dem Deutschland jede Kraft dringend nötig hat, ist es darauf bedacht, in einem ständigen Austausch deutsch-griechischen Geistes zu bleiben.

Urteil des Lehrers: Die Verfasserin führt zwar aus dem deutschen Schrifttum zahlreiche Werke an, die sich mit Griechenland befassen, ohne jedoch eine vertiefte Deutung zu geben. Trotz dieses Mangels und der äußeren Verstöße, die meist leichter Art sind, soll die an sich fleißige, im Ausdruck glatte Darstellung noch Befriedigend genannt werden.

Klassenleistung: Befriedigend Unterschrift des Lehrers Rudolph

Lebenslauf der Schülerin für die Zulassung zur Reifeprüfung vom 08.03.1944

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Athen, der 8. März 1944

Hiermit bitte ich, zur Reifeprüfung zugelassen zu werden.

Unterschrift der Schülerin

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Ich wurde am 8. April 1926 als Tochter des Diplomingenieurs_______und seiner Gemahlin _____, geborene _______, in München geboren.
Eine meiner ersten Erinnerungen, die ich aus meiner frühesten Kindheit noch habe, ist die Trennung von meinen Eltern, die damals, als ich drei Jahre alt war, nach Griechenland, der Heimat meines Vaters, kamen, während ich in München zurückblieb. Ich fand im Hause meines Onkels Aufnahme und wuchs dort zusammen mit meiner gleichaltrigen Base auf.
Mit sechs Jahren kam ich auf eine Volksschule in München. Anfangs wollte es mir nicht sehr gefallen, ich war es nicht gewohnt, so viele fremde Menschen um mich zu haben, und ich war froh, als ich, mit einer großen Zuckertüte bewaffnet, zu Hause ankam. Doch gewöhnte ich mich leicht an das neue Leben,

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und das Lernen machte mir von Tag zu Tag mehr Freude. Die Schulzeit wurde von den Ferien unterbrochen, die immer von Reisen in die herrliche Umgebung Münchens oder in die bayerischen Alpen ausgefüllt waren und mir Gelegenheit gaben, die Schönheit  der deutschen Landschaft kennen zu lernen.
Im Herbst 1935 trat ich meine erste große Reise an. Meine Mutter kam nach München, um mich in meine neue Heimat zu holen. In Athen wollte es mir am Anfang gar nicht gefallen, aber meine neuen Kameradinnen, die ich in der Deutschen Schule in Athen fand, ließen mich meine Schulzeit nach München bald vergessen. Ich habe auf dieser Schule eine sehr schöne Zeit verbracht, an die ich auch später gern zurückdenken werde. Wie alle meine anderen Mitschüler zeigte auch ich bestimmte Interessen. Mathematik, Chemie und Physik sind Fächer, die mir nicht sehr

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liegen, dagegen machen mir Deutsch, Geschichte und auch Biologie Freude. Neben der Schule habe ich Geigenunterricht und habe auch im Sinn, dieses Studium nach der Schule fortzusetzen.
Nach dem Abitur beabsichtige ich Griechenland zu verlassen und in Deutschland zu studieren, um Innenarchitektin zu werden. Ich glaube, dass mir dieser Beruf Freude machen wird, auch bin ich, was Zeichnen anbetrifft, nicht untalentiert und beschäftige mich in meiner Freizeit viel und gern damit. Vor allem habe ich im Sinn, ein unabhängiges Leben zu führen, was in Griechenland, wo alles hier durch Verbindungen geschieht, nicht gut möglich ist. Ich hoffe, dass mein Ziel, das ich mir gesetzt habe, in Erfüllung geht, obwohl die Zukunft auch weitgehend durch den Verlauf des Krieges bestimmt ist.

Das Gutachten der Lehrer über Rosalie

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