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Die nachfolgenden Archivdokumente zeigen den Lebenslauf, den Reifeprüfungsaufsatz und das Gutachten der Schülerin Nefeli.

✎   Beitrag: Aliki Portosalte, Ilektra Mavridi,  Alexandra Iliana Dimitriadi

Transkript des Reifeprüfungsaufsatzes im Fach Deutsch 1944, Thema: "Bedarf der Staat einer Aristokratie?"

Der Lebenslauf der Schülerin

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Ich,______, bin am 29. Juli 1926 in Heraklion geboren. Mein Vater war Professor und meine Mutter eine gute Hausfrau. Meine ersten Jahre haben mir keine besondere Erinnerungen hinterlassen. Wir haben nur zwei Reisen nach Spetses unternommen, wo wir längere Zeit blieben, und noch zwei nach dem Peloponnes, die nichts besonders Interessantes hatten.

In Heraklion habe ich zum ersten Mal die Schule besucht. Ich ging hin, wenn ich Lust hatte, und jedesmal, wenn ich nach längerer Zeit zur Schule ging, küßte mich meine Lehrerin auf die Wangen, obwohl sie es mit den anderen Kindern nicht tat. Das war mir peinlich, denn erstens war sie ein hochbetagtes Fräulein, und von den Alten duldet man solche Herzensausdrücke nicht gern, und zweitens habe ich das Küssen von allen Menschen selbst von Verwandten nie ertragen können.

Als ich 7 Jahre alt wurde, zogen wir nach Kallithea. Da habe ich ein schönes, sorgenlosen Leben geführt.

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In der Schule galt ich als die beste Schülerin, doch brauchte ich nicht sehr viel zu lernen. Täglich fuhr ich mit meinem Fahrrad durch die ganze Stadt, hatte sehr viele Freunde und Freundinnen, die den Sport liebten und nicht mit Puppen wie die meisten Mädchen spielten; denn Puppen konnte ich nie leiden und fand es sehr demütigend, Freundinnen zu haben, die damit spielten.

Ich bin in allen möglichen Schulen gewesen und habe viele Lehrerinnen zu Hause gehabt, um Französisch zu lernen. Ich hatte aber keine Lust dazu, und die armen Mademoiselles konnten es nicht mehr mit mir aushalten und gingen weg, oder meine Eltern glaubten, die Lehrerinnen seien schuld daran, daß ich nicht Französisch lernte, und schickten sie fort.

Schön waren damals die Reisen, die wir gemacht haben. Die schönste war die nach Chalkis, die an sich nichts besonderes hatte, aber es was Winter, und ich bin einige Tage von der Schule ferngeblieben. Auch sehr schön waren die Sommer, die wir in Varkiza, wo ich einmal mit einem Kahn beinahe ertrunken wäre, auf dem

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Erymanthos und Parus verbracht haben.

Ich werde eine Lehrerin aus einer von den vielen Schulen, die ich besucht habe, nie vergessen. Sie war sehr fromm und meinte, daß der heilige Petrus nichts davon gesagt hat, daß wir am ersten April lügen dürfen, folglich dürfen wir es nicht. Ich bin in diese Schule nicht am Anfang, sondern in der Mitte des Schuljahres gegangen, und wenn ich mich recht erinnere, war es an einem Donnerstag. Am Montag fragte sie mich, ob ich am Sonntag in der Kirche gewesen wäre. In der Kirche war ich 4 oder 5 Mal in meinem ganzen Leben, und dieser Sonntag war nicht der fünfte. Seitdem hat sie mich wieder gefragt, aber sie hat mich so weit gebracht, daß ich jeden Sonntag in die Kirche ging, und 2 Stunden lang dort blieb, einmal gebeichtet habe und jeden Abend betete, etwas, was ich noch nie versucht hatte. Aber nach anderthalb Jahren verließ ich diese Schule, um in die Deutsche Schule zu gehen, und meine Frömmigkeit verschwand so plötzlich, wie sie erschienen ist. Als ich die Deutsche Schule besuchte, konnte ich kein Wort

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deutsch und mußte in eine deutsche Pension gehen, wo das Essen sehr schlecht und die Gesellschaft sehr gut war. Schöne Erinnerungen habe ich davon nicht, da die unangenehmen Ereignisse meistens im Gedächtnis zu bleiben pflegen. Um auch die angenehmsten zu behalten, habe ich ein Tagebuch geschrieben, aber als ich es nach einem Jahr las, fand ich die Gedanken und überhaupt die Art, wie es geschrieben war, so dumm, daß ich es zerriß. So sind nur die Erinnerungen aus dem Krach, den wir gemacht haben, und an unsere Frechheiten geblieben.

Ein angenehmes Ereignis nur erfüllt mich mit Stolz. Daß ich in der Quarta einen Preis bekommen habe. In der Untertertia war es nicht so schön, denn ich bekam eine Strafarbeit nach der anderen. Dazu kam der Krieg als Abwechslung zum täglichen Schulleben und nach 8 Monaten begann wieder die Schule mit einigen unangehmen Erlebnissen; ich bin nämlich dreimal ausgeschlossen worden. Das Schulleben wurde noch einmal durch einen sehr schönen Sommer von 1943 in Phaliron unterbrochen. Baden, Spielen, Rudern und Wandern erfüllte den

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ganzen Tag.

Nach Beendigung der Schule habe ich beschlossen, ins Polytechnikum zu gehen, um Chemie zu studieren, obwohl meine Klavierlehrerin meint, daß ich Musik studieren soll, da mir die Kunst nicht gleichgültig sein darf.

Der Reifeprüfungsaufsatz der Schülerin

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Athen, 18.03.1944

Hiermit bitte ich zur Reifeprüfung zugelassen zu werden.

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Deutscher Aufsatz

Bedarf der Staat einer Aristokratie?

Ein Staat bedarf immer einer Aristokratie, solange sie für das Volk da ist und nicht das Volk für sie. Eine Art Aristokratie hat es immer gegeben. Die tapfersten und hervorragendsten Männer eines Stammes, die sich in Jagden und Schlachten auszeichneten, hatten eine besondere Stellung unter ihren Stammesgenossen und der Beste wurde deren Führer. Auch heute noch sind die besten Männer der unzivilisierten Völker die Führenden. Die Aristokratie des alten Athen bildeten die „αριστοι“, die das Volk regierten. Auch in Sparta gab es die Aristokratie der Sieger Dorier gegenüber den besiegten alten Bewohnern Spartas. Die Patrizier in Rom, der Adel Deutschlands, das Rittertum und die Noblen Frankreichs bildeten die Aristokratie dieser Länder. Die römischen Kaiser waren immer von ihren Höflingen umgeben, mit denen sie berieten und die ihre Meinung offen sagen durften, denn ohne diese Aristokraten würde der Kaiser absolut herrschen, wie es oft viele Herrscher getan haben. Das alles be-

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weist, daß eine Auslese der Männer immer nötig war. Die besten Leute, die den Fürsten ihre Dienste erwiesen, wurden mit Land belehnt, in dem sie schalten und walten konnten. Sie siedelten Leute über das ganze Land hier an, gewannen immer mehr Macht und wurden ihrem König gefährlicher. Um gegen diese eine Waffe zu haben, hat Konrad II. mehrere Leute mit einem kleinen Gebiet belehnt, und so entstanden auch die Untervasallen. Alle Knechte der Fürsten, der Stallknecht, der Kammerdiener, der Truchseß u.a. , erhielten, um sich von den anderen Knechten zu unterscheiden, den Adelstitel . Es entstand ein Wirrwarr von Adligen, und so verlor das Wort Aristokratie allmählich seine eigentliche Bedeutung und anstatt daß diese von den besten Leuten bestand, bestand sie von ihren Nachkommen, ob begabt oder unbegabt spielte keine Rolle. Sie waren es, die vom Volk bedient wurden, anstatt die „ersten Diener des Staates“ zu sein. Einer solchen Aristokratie bedarf der Staat nicht. Auch die Aristokraten Ludwigs XIV. brauchen wir

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nicht, die es für eine besondere Ehre hielten, ihrem König, der das falsche Wort „L‘ état c´ est moi“ (ein)prägte, beim Anziehen zu helfen, oder ihm Hut und Stock beim Ausgehen zu reichen. Aber die Zeiten, wo sich die Führer des Volkes einbildeten, von Gott gewählt zu sein, sind vorbei. Zum größten Teil ist heute die alte Aristokratie abgeschafft worden, wie z.B. durch die französische Revolution. Ein Staat kann aber nicht ohne Aristokratie lange bestehen, denn wenn eine hohe Stellung und zwar die Staatsführung ein Unbegabter bekommt, kann das Land durch die schlechte Politik nicht mehr aufblühen, innere Kämpfe beginnen, und der Staat wird dadurch geschwächt. Oft sorgt ein absoluter Herrscher nur für seinen persönlichen Nutzen und nicht für den seines Volkes. Es bekommen Männer die Staatsführung, nur weil sie ehrgeizig sind, hinter denen andere stecken, die das Volk für ihre Zwecke benutzen. Deshalb müssen die Bes-

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ten eine neue Aristokratie bilden und das Volk führen, die wissen, daß sie dazu da sind, um ihr Volk glücklich zu machen, und daß sie immer nach etwas Besserem streben müssen. Die Offiziere müssen in den Krieg mit gutem Beispiel vorangehen. So bildet jetzt in Deutschland eine Auslese den Adel, die in den Adolf-Hitler-Schulen ausgebildet werden und dann höhere Stellungen bekommen und zwar als SS-Führer.

Es hat sich oft gezeigt, daß der Staat einer Aristokratie bedarf, die gewisse Pflichten zu erfüllen hat.

Aber: In den Schulen haben sich die Mädchen nicht weniger begabt als die Knaben gezeigt; warum bekommen sie also jetzt keine politische(n) Führerstellungen? Als Frau, die die Emanzipation des weiblichen Geschlechts erstrebt, fühle ich mich verpflichtet, diese Frage auszusprechen .

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Das Gutachten Lehrer

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