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Wir schreiben das 1934. Zwei Jahre unterrichtete Ernst Lichtenstein schon an der damaligen DSA. In den Sommerferien 1934 befindet er sich auf Sizilien. Von dort schickt er einen sehr vertrauten und liebevollen Brief an sein geliebtes Gretlein. Der Brief offenbart nicht nur die leidenschaftlichen Empfindungen des jungen Lehrers, sondern auch tiefe Sorgen über die Gefahren, die ihm aufgrund seiner jüdischen Großeltern, aus Deutschland drohen. 

✎  Beitrag: Alexandra Iliana Dimitriadi, Alexios Tsakalakos

Ein Liebesbrief aus Ragusa

Anmerkungen: Diesen Brief fanden wir nicht in unserem Schularchiv. Er wurde uns zufällig im Oktober 2019 durch die Restauratorin Rohr-Stettler per Mail aus der Schweiz zugesandt. Ein seltener Glücksfall. Wie sich herausstellte, verbirgt sich hinter dem Kosenamen "Gretlein" eine damals junge schweizer Künstlerin namens Marguerite Ammann, die im Jahr 1934 in Athen weilte, wo sich die beiden vermutlich begegneten und sich ineinander verliebten. Der Liebesbrief befand sich im Nachlass der Künstlerin. Anbei findet ihr eine Zeichnung der Künstlerin und das Transkript des Originaldokuments.

Bildquelle: 1934.07. Zeichnung Marguerite Ammann

Liebes Gretlein,

ich hätte dich so sehr gern vor meiner Abreise noch gesprochen.

Ich war auch im Hause Diamantopoulos nach dir fragen,

aber du warst noch nicht zurück. Du bist mir so nahegekommen,

und ich hätte deinen lieben und klugen Worte noch so gerne auf den Weg

genommen und dich so gerne noch einmal

gestreichelt. Wer weiss nun, wann und wie wir uns wiedersehen.

Du wirst mich doch nicht vergessen, gelt? Es ist

in der Zwischenzeit böse gekommen. Als du den Augenblick

bei mir warst, konnte ich dir noch sagen, dass ich im nächsten

Jahr in meiner Stellung bleibe. Nach 8 Tagen bin ich doch

gekündigt worden, formalrechtlich noch gültig, menschlich

weniger anständig, da man mir mündlich einen anderen

Bescheid gegeben hatte, als man dann nach einer wohl

politisch bewegten Schulratssitzung für notwendig hielt.

Grund kein anderer als der „Arierparagraph“, da einer

meiner Grossväter jüdisch war. Das habe ich dir wohl noch

gar nicht gesagt. Ich hielt und halte es für unwesentlich.

Es hat mir mein Selbstbewusstsein als Deutscher tangiert.

Ich bin vielleicht etwas hochmütig. Ich habe nie an eine

Anwendung auf mich gedacht, und als Frontkämpfer trifft

das Gesetz auch auf mich nicht zu, aber eine _____

Strömung, die päpstlicher als der Papst ist, ___ meine Stellung

an der Deutschen Schule nun doch für untragbar gehalten.

(verso)

Es würde heute niemand wagen, für mich einzutreten. Das

ist etwas beschämend. Man hat nur soviel erreicht, dass ich vorläufig

noch an der Schule vollbeschäftigt bleibe, obgleich ich offiziell entlassen

bin, aber auf monatliche Kündigung und nur vorläufig,

also bis auf unbestimmte Zeit im nächsten Schuljahr.

Ich komme also noch wahrscheinlich nach Athen zurück, aber für wie lange,

weiss ich nicht. Ich frag jedenfalls dann an dem ___ und

muss sehen, mir in Athen eine neue Zukunft aufzubauen.

Wie schwer das ist, wenn man dazu noch Widerstände und

unbegründetes Übelwollen erfährt, brauch ich dir nicht zu

sagen, Gretlein. Deine Feinfühligkeit ____(wie?) auch die unwägbaren

Scheusslichkeiten, die so eine Lage für mich bei meiner schliesslich

nicht groben seelischen Konstitution und meinem Gefühl für

Reinlichkeit und menschliche Verhältnisse mit sich bringt. Ich

hätte dich in den letzten Tagen schon (?) gebraucht, denn du wirst

mich verstehen. Wenn ich dann nach Athen komme,

muss ich mein Häuschen (?) notgedrungen mit einem Kollegen

teilen, da es mir jetzt allein zu teuer wird, wo ich jeden

Augenblick ohne ___dastehen kann. So wird zum

Überfluss auch unserer beider Freiheit und Gemeinsamkeit gestört

werden. Es ist schlimm in dieser Welt des Scheins.

Bitte sprich vom Inhalt dieses Briefs nicht weiter.

Schreibe mir aber nach Hause (Braunsberg, Ostpreussen,

Fliessstrasse 113), Liebes ! Ich streiche dein liebes Haar

und deine Brüstlein. Bleib mir gut, wenn du

kannst, ich hab dich lieb! Arbeitest du gut?

wie gern wäre ich bei dir,

Dein Ernst

(Braunsberg ist heute Braniewo, Polen)

Faksimile des Briefes von Ernst Lichtenstein an Marguerite Amman,1934

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