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Despoina Afroditis Schulzeit war von der NS-Diktatur geprägt. Auch in der Deutschen Schule Athen wurde der Nationalsozialismus über Unterrichtsmaterialien vermittelt. Im Schulalltag konnten sich SchülerInnen kaum der Beeinflussung, Manipulation und Indoktrination entziehen. Für das NS-Regime waren die Schulen der zentrale Ort, um Jugendliche nach ihren Vorstellungen zu loyalen, überzeugten und strammen Nationalsozialisten zu erziehen. In diesem Beitrag wollen wir verdeutlichen, mit welchen Mitteln und Methoden die Nationalsozialisten die Gleichschaltung im Bildungssystem durchsetzten und das freie, kritische Denken verboten und zerstörten.

✎  Beitrag: Sophia Dorn

Verordnete und verbotene Literatur in der NS-Zeit

Despoina-Afroditi musste sich in ihrem Reifeprüfungsaufsatz mit einem Zitat von Paul Anton de Lagarde “Ein Volk sein, heißt:  Eine gemeinsame Not empfinden” auseinandersetzen. Sie erläuterte dieses Zitat gemäß nationalistischer Denkweise.[1] Dabei waren stark patriotische/ nationalistische Aussagen wie (z.B.: “Das Vaterland ist einer der größten Werte, die der Mensch überhaupt besitzt”,[2] “Wie er den Bruder in seinem Leben braucht […]so braucht er auch unbedingt das Vaterland”[3] und “Die Vaterlandsliebe ist ein tiefes und großes Gefühl; selbst der einfachste Mensch, der gänzlich ungebildete [ist], hängt an seine[m] Vaterland und setzt alles ein, es zu verteidigen.”)[4] üblich.  

Diese Art von Aufgabenstellung war an Schulen in der NS-Zeit durchaus üblich und wurde häufig gestellt. Dabei wurden gerne Schriftsteller zitiert, die die NS-Ideologie vertreten, wie hier Paul de Lagarde. Zwar lebte Lagarde von 1827 bis 1891, in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs und nicht im Nationalsozialismus, dennoch war er einer der prägendsten Antisemiten der Geschichte und einer der ideologischen Vordenker Adolf Hitlers, Joseph Goebbels, Heinrich Himmlers und vielen mehr.[5]   

Quellennachweis:

[1]Schularchiv der DSA, Reifeprüfungsaufsatz 1939, Seite 1

[2] Schularchiv der DSA, Reifeprüfungsaufsatz 1939, Seite 1

[3] Schularchiv der DSA, Reifeprüfungsaufsatz 1939, Seite 2

[4] Schularchiv der DSA, Reifeprüfungsaufsatz 1939, Seite 4

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_de_Lagarde

Paul Anton de Lagarde

Bildquelle: Paul Anton de Lagarde, Theologe, Kulturphilosoph Orientalist↵, See page for author, Public domain, via Wikimedia Commons

Wer war Paul Anton de Lagarde?

Paul Anton de Lagarde (* 2. November 1827 in Berlin; † 22. Dezember 1891 in Göttingen) war ein wichtiger geistiger Vordenker der nationalsozialistischen Ideen und Vorstellungswelt. In seinem Buch “Deutsche Schriften” verdeutlichte er seine Ablehnung gegenüber dem Liberalismus und der Demokratie, welche laut ihm für das Übel eines Landes verantwortlich seien.  In seinen Werken äußert er konkrete Ideen und Vorstellungen von einem starken, autoritären Führer, einer gemeinsamen Nationalreligion und der Abschaffung aller anderen Glaubensrichtungen in einem Staat. In seinen Schriften vermittelte er die deutsche Überlegenheit und das Gefühl bzw. Idee einer Volksgemeinschaft, die von allen Bürgern eines Landes verspürt werden muss. Er schilderte, dass sich das deutsche Kaiserreich “ohne Wenn und Aber” auf einen Angriffskrieg vorbereiten muss.  Er forderte als einer der ersten die Notwendigkeit der Expansion des Deutschen Reiches, so wie auch Adolf Hitler ca. 50 Jahre später die Erweiterung des Lebensraums für das Deutsche Reich forderte. Er lehnte die Emanzipation der Frau ab und setzte sich in seinen Schriften für das “konventionelle” Familienbild ein. Letztendlich wandte er sich gegen den Monarchismus und gegen die Aufklärung. Er plädierte für die Vertreibung der Juden. Dieser Gedanke wurde später von Hitler in die Realität umgesetzt und führte zum Holocaust, einem der schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Paul de Lagarde ging als “Vertreter des modernen Antisemitismus” in die Geschichte ein.[6]

Schule in der NS-Zeit

“Die Schule sollte die Kinder zu überzeugten Nationalsozialisten machen“. Diese Aussage spiegelt präzise das Ziel der Schulbildung in den Jahren 1933-1945 wider. Die nationalsozialistische Ideologie wurde in der Fächerwahl mitberücksichtigt und der Lehrplan wurde ab 1936 der NS-Ideologie angepasst. Im Biologieunterricht wurde Rassenkunde und Vererbungslehre gelehrt.Im Deutschunterricht wurde nur die Literatur von nationalsozialistischen Schriftstellern gelesen, die die NS-Ideologie unterstützten und Hitler glorifizierten. Sogar im Matheunterricht hinterließen die NS-Vorstellungen ihre Spuren.

Bildquelle: Schularchiv, DSA erinnert

Im Geschichtsunterricht wurden die Kriege verherrlicht, die Ablehnung und Hass gegenüber dem Liberalismus, Sozialismus und der Demokratie verbreitet und Deutschland als große ruhmreiche und überlegende Weltmacht propagiert. Der Religionsunterricht wurde abgeschafft und durch den vermehrten Sportunterricht sollten die Kinder auf den Einsatz in der Wehrmacht vorbereitet werden.[7] Im Buch “Mein Kampf” hatte Hitler durch die Worte: “der völkische Staat (…) hat seine gesamte Erziehungsarbeit (…) auf das Heranzüchten kerngesunder Körper und erst in zweiter Linie (…) die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten” die “Erziehungsmethoden” des dritten Reiches verdeutlicht.  Das Wort “kerngesund” meint hier tatsächlich einen physisch intakten Menschen. Die physische Konstitution eines Menschen hatte für die Nationalsozialisten also Priorität vor den geistigen Fähigkeiten.  Selbständiges und kritisches Denken gehörten nicht zu den pädagogischen Zielen in den Schulen der NS-Zeit. SchülerInnen sollten zu strammen, bedingungslosen loyalen, überzeugten und fanatischen AnhängerInnen des Nationalsozialismus erzogen werden.  

Bildquelle: Schularchiv DSA erinnert

Bücherverbrennung

Es ist hinreichend belegt, dass die Nationalsozialisten versuchten, durch bildungspolitische Interventionen die Bevölkerung zu indoktrinieren. So wurden Bücherverbrennungen durch die NSDAP begrüßt, wenngleich nicht direkt initiiert. Die Bücherverbrennung war ein vierwöchiger symbolischer Vernichtungsakt “wider den deutschen Geist“, kurz nach der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933. Die Anhänger der NSDAP, der SA, der Hitlerjugend und vor allem der deutschen Studentenschaft verfolgten das Ziel die Bücher, die nicht der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen, zu vernichten. 

Bücherverbrennung auf dem Opernplatz Unter den Linden in Berlin, durch Studenten der Berliner Universitäten

Bildquelle: Pahl, Georg, Die öffentliche Verbrennung undeutscher Schriften ↵und Bücher auf dem Opernplatz Unter den Linden in Berlin, durch Studenten der Berliner Universitäten!  Die von den Studenten eingesammelten undeutschen Schriften und Bücher, werden öffentlich auf dem Opernplatz in Berlin, ins Feuer geworfen. Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

 

Sie wollten das “undeutsche Schrifttum” jüdischer, liberaler, sozialdemokratischer u.a. Autoren ausmerzen. Die Schriften der großen Denker und Autoren wie Karl Marx, Heinrich Heine, Berthold Brecht, Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann und Erich Kästner gingen in Flammen auf und brachten somit die Nazis näher an ihr Ziel, ein marionettenähnliches Volk zu etablieren, in dem andere Denk- und Lebensweisen wortwörtlich verboten wurden. Die sogenannten “Zwölf Thesen”, ein Pamphlet, wurden als Plakat und Flugblatt zur Vorbereitung der studentischen Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 benutzt und forderte die deutschen Studenten dazu auf, die von jüdischen Autoren stammenden deutschen Schriften und deren Einfluss zu vernichten. Das Ziel war es, das deutsche “Ideal” der völkischen Tradition und den Gedanken der Volksgemeinschaft wiederherzustellen. Diesem Gedanken schlossen sich unzählige propagandistische Medien, unter dem Einfluss des Propagandaministers Joseph Goebbels an. Zwischen März und Oktober 1933 verbrannte man die Bücher verfemter deutscher Schriftsteller.

Flugblatt des NS-Studentenbundes, das 1933 zur Bücherverbrennung verbreitet wurde.

Bildquelle: Flugblatt des NS-Studentenbundes↵, das 1933 zur Bücherverbrennung verbreitet wurde, 1934, unbekannter Autor, Foto eines Faksimiles, ausgestellt im Theodor-Heuss-Haus Stuttgart; Original: Staatsarchiv Würzburg, Akten der Deutschen Studentenschaft, I 21 C 14/I, AnonymousUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

 

Die Studenten erhielten “Schwarze Listen” mit den verbotenen Büchern. Der 10. Mai 1933 am ehemaligen Berliner Opernplatz stellt ein symbolisches Datum dar. Der bekannte Autor Erich Kästner war Augenzeuge der Aktion und sagte: “Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in zuckenden Flammen fliegen.” Insgesamt sind 102 Bücherverbrennungen[8] in über 90 deutschen Städten durchgeführt worden. Die Bücherverbrennungen waren nur ein Vorspiel, denn „dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“, wie der Dichter Heinrich Heine schon 1823 in seiner Tragödie „Almansor“ „prophezeite“. Seine Worte sollten sich auf schreckliche Weise hundert Jahre später bewahrheiten. Die Bücherverbrennungen waren ein Fanal für den Terror und die Menschenverachtung der Nazis gegenüber all jenen, die von der Volksgemeinschaft ausgeschlossen waren.

Bücherverbrennung durch die Hitlerfaschisten am 10.5.1933

Bildquelle: Bücherverbrennung↵ am 10.5.1933 in Hochschulstädten Deutschlands. Organisierte Vernichtung von Werken der Klassiker des Marxismus-Leninismus, der Führer der deutschen Arbeiterbewegung und Werke der deutschen National- und der Weltliteratur. Die beschlagnahmten Bücher werden auf einem Wagen gesammelt und zur Verbrennung auf den Opernplatz in Berlin gefahren, unbekannter Autor, 10 Mai 1933, Berlin, Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-776 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE 

 

Letztendlich blieb am Ende des Lesens der Reifeprüfung eine zentrale Frage offen und unbeantwortet: Glaubt Despoina Afroditi, als eine junge und multikulturell erzogene Frau, tatsächlich alles was sie geschrieben hat? Diese Frage kann man sich für unzählige Mitläufer des Nationalsozialismus stellen, dennoch wird man nie eine eindeutige Antwort bekommen.  Rückblickend wird sehr deutlich, dass die permanente Auseinandersetzung mit derartigen Weltbildern und Ideologien, wie die von Lagarde, tiefe Spuren in den Denkweisen der jungen Schülerinnen und Schüler hinterließen. Es ist zu vermuten, dass die Beschäftigung mit solchen Ansichten, die das Welt- Gesellschafts- und Menschenbild der jungen Erwachsenen geprägt hat und nur wenige es geschafft haben, diesem Teufelskreis der Grausamkeit, der Menschenverachtung und des Terrors zu entfliehen. Letztendlich war auch Despoina Afroditi nur eine von Millionen Menschen, die es womöglich nicht gewagt haben kritisch ihre eigene Meinung zu formen und zu äußern. Jeder einzelne von diesen „Mitläufern“ hat einen weiteren Stein gelegt und dadurch Hitler den Weg geebnet seine monströsen Pläne umzusetzen, denen 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind.

Bücherverbrennung

Bildquelle: United States Holocaust Memorial Museum, Public domain, via Wikimedia Commons↵

 

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