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Während Paula im März 1939 die Reifeprüfung an der damaligen Deutschen Schule Athen schreibt, stehen in Deutschland die Zeichen auf Krieg. Der Himmel über Mitteleuropa verdüstert sich. Ahnt Paula etwas von der sich abzeichnenden Katastrophe? Hier wollen wir uns kritisch mit den Gedanken und Überlegungen Paulas in ihrem Abituraufsatz im Fach Deutsch auseinandersetzen.

✎  Beitrag: Constanze Hölscher, Yannis Kunze

„Feste als Ausdrucksform einer Gemeinschaft“- Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Reifeprüfungsaufsatz der Schülerin Paula

Die deutsche Wehrmacht marschiert am 15. März in die sogenannte „Rest-Tschechei“ ein und besetzt Prag. Hitler verkündet auf dem Hradschin die Errichtung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“. Das sind die ersten schrecklichen Vorboten der später folgenden Verbrechen und Gräueltaten der Nationalsozialisten in den von ihnen eroberten und besetzten Gebieten. Sicher wird Paula von den Geschehnissen gehört haben, vielleicht sogar in ihrer Schule? Hat sie die Nachricht beunruhigt oder fühlte sie sich, im tausende Kilometer weit entfernten Griechenland, sicher? Wir wissen es nicht. In Griechenland ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand, dass Hitler nur zwei Jahre später das eigene Heimatland brutal überfallen wird. Dort blickt man in den Jahren 1939 und 1940 sorgenvoll auf die Entwicklungen in Italien. Der Duce, Benito Mussolini, strebte nach der Wiederbelebung des alten römischen Imperiums und streckte seine Hand gierig nach Osten übers Mittelmeer nach Hellas aus.

Bildquelle: Adolf Hitler auf der Prager Burg am 15. März 1939, beim Abschreiten einer Ehrenformation,Bundesarchiv, Bild 183-2004-1202-505 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

 

Paula erwähnt die großen weltpolitischen Ereignisse ihrer Zeit in ihrem Reifeprüfungsaufsatz nicht. Ihr Thema „Feste als Ausdrucksformen der Gemeinschaft“ scheint auf den ersten Blick eher unpolitisch zu sein, jedoch waren diese Formen von „Besinnungsaufsätze“, vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus, ein gängiges Mittel der ideologischen Unterweisung. Der Begriff der „Gemeinschaft“ und im Besonderen der „NS-Volksgemeinschaft“ bildete ein zentrales Element in der NS-Ideologie. Die Nationalsozialisten definierten diese als „eine auf blutmäßiger Verbundenheit, auf gemeinsamem Schicksal und gemeinsamen politischen Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassen- und Standesgegensätze wesensfremd sind”. Gemeinschaftserlebnisse, Feste, Fahnenappelle, etc., spielten daher eine wichtige Rolle in der NS-Volksgemeinschaft und waren aus diesem Grund politisch und ideologisch überfrachtete Veranstaltungen und Inszenierungen. Sie sollten ein Gefühl von Gleichheit und Gemeinschaft suggerieren. „Gemeinschaftsfremde“, Andersdenkende sowie Personengruppen oder Minderheiten, etc., die nicht dem Idealbild des „Ariers“ entsprachen, wurden systematisch entrechtet, verfolgt und vernichtet.  

Bildquelle: Nürnberg, Reichsparteitag, RAD-Appell, [Scherl] Reichsparteitag 1937. Der grosse Appell des Reichsarbeitsdienstes auf dem Zeppelinfeld. Übersicht während der Rede des Führeres, Bundesarchiv, Bild 183-C12701 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

 

Paula bezeichnet in ihrem Reifeprüfungsaufsatz Feste als “Schätze eines Volkes”, die die Kultur erhalten. Durch Feste zeige ein Land seinen Nationalstolz. Als Beispiel für diese Feste nennt sie vor allem die Olympischen Spiele im antiken Griechenland. Obwohl Paula seit 1930 auf die Deutsche Schule Athen ging und in ihrer Schulzeit viele nationalsozialistische Feiern erlebt haben muss, hat sie diese nicht erwähnt. Vielleicht kann es als Zeichen der Ablehnung des nationalsozialistischen Gedankenguts oder als eine gewisse Distanz zu dieser interpretiert werden, dass sie nur vom antiken Griechenland spricht. Sehr ausführlich beschreibt Paula die Bedeutung der klassischen Olympischen Spiele für die griechische Kultur der Antike und beendet ihre Darlegung mit dem Fazit, dass die Olympischen Spiele „ das größte Fest der Nationen sei, das Fest aller Völker“. Vielleicht können wir diese Aussage als ein Statement der Schülerin interpretieren und als eine deutliche Kritik gegenüber dem nationalsozialistischen Feierkult sehen.

Laut Paula dienen „Volksfeste“ dazu den „Gemeinschaftscharakter eines Volkes auszudrücken und stärken den Zusammenhalt des Volkes“. Auch an der Deutschen Schule Athen wurden in der NS-Zeit viele nationalsozialistische Feiern und Feste durchgeführt und im Namen des „Volkes“ bzw. des Deutschen Reiches gefeiert. Paula selbst dürfte viele dieser Feste, unter anderem den “Tag des Führers” oder den “NS-Heldengedenktage” miterlebt haben. Alle diese Feste und Feiern demonstrierten einen übertriebenen Nationalismus und waren dazu gedacht, das nationalsozialistische Denken und den Zusammenhalt der Deutschen, auch im Ausland, zu stärken.

Ein Blick zurück in die Geschichte

Rückblickend in die Geschichte stellen wir fest, dass dieser übertriebene „Nationalismus“ bereits im ausgehenden 19.Jahrhundert, im Zeitalter des Imperialismus existierte. Er führte zur Rechtfertigung kolonialer Ansprüche und damit zur verbundenen Herabwürdigung anderer Nationen. Die NS-Zeit bildete den Höhepunkt eines völlig übersteigerten und menschenverachtenden Nationalismus, der die Vernichtung und Unterdrückung anderer Nationen intendierte und durch brutale Eroberungs- und Vernichtungskriege praktizierte. Die selbsternannten Herrenmenschen duldeten keine anderen gleichwertigen Nationen neben sich. Diese Ideen machten u.a. die Verbrechen der Nationalsozialisten in den eroberten Ländern möglich.

Die Haltung und Einstellung zur Nation, zum Nationalismus und zu nationalen Gedenktagen hat sich in Deutschland nach 1945 massiv geändert, da die beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten einen vollkommenen Zivilisationsbruch darstellten. Nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs erfolgte ein radikales Umdenken. Der Begriff und die Idee einer deutschen Nation nach 1945 bereitete vor diesem Hintergrund vielen Menschen in beiden Teilen Deutschlands großes Unbehagen. Man musste und wollte sich vom nationalen Denken distanzieren. Der deutsche Nationalstolz sollte nie wieder zu Krieg und Zerstörung führen.

Die kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit hat in Deutschland auch zu einer Veränderung der nationalen Feierkultur geführt. Das Gedenken und Erinnern, das „Nie wieder“ steht heute im Vordergrund. In diesem Sinne gedenken wir heute z.B. am 27. Januar an die Opfer des Holocausts. Ebenso ist auch der deutsche Nationalfeiertag, der 3.Oktober, Feiertag und Gedenktag zugleich und steht symbolisch für Freiheit, Demokratie und Frieden. Es wird dabei nicht nur der Tatsache der friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten gedacht, sondern auch der Menschen, die ihr Leben, um der Freiheit Willen riskierten und für demokratische Grundrechte kämpften. Der 3. Oktober steht darüber hinaus für alle Werte unserer modernen Demokratie: Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus und insofern ist er ein moderner zeitgemäßer nationaler Feiertag, der in unserer, von Krisen erschütterten Welt, seinen stets mahnenden Charakter behält.

Bildquelle: Einigungsvertrag BRD-DDR vom 31. August 1990. Beide Exemplare werden im Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes in Berlin aufbewahrt, 7 August 2003, Autor: Hadi, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons

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Auch wenn an ihrer Wortwahl und in ihren Formulierungen der sprachliche und ideologische Kontext der NS-Ideologie deutlich erkennbar ist und sie der Nation sowie nationalen Festen eine hohe Bedeutung zuspricht, so hat sie sich, aus unserer Sicht, in gewisser Weise eine intellektuelle und geistige Eigenständigkeit im Denken bewahren können. Vermutlich, so wollen wir es hoffen, hätte sie heute eine andere Meinung zum Thema „Nation“ wäre sie nicht 1920, sondern im Jahre 2004 in Athen geboren und hätte die Chance gehabt in einem friedlichen, freien vereinten Europa zu leben.

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