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Paula schwärmt in ihrem Reifeprüfungsaufsatz von der Idee des Volkes und der Nation. Ihre Gedanken, ihre Formulierungen und ihre Sprache sind wesentlich von der Ideologie des Nationalsozialismus geprägt. Paula und mit ihr Millionen gleichaltriger SchülerInnen der NS-Zeit übernahmen ungefiltert und unreflektiert die NS-Ideologie, obwohl sie die schrecklichen Auswirkungen eines völlig enthemmten Nationalismus und der totalen Verherrlichung der Nation und des Volkes sehen hätten müssen. Hier wollen wir die Entstehung und die Rolle des Nationalismus in der Geschichte genauer untersuchen.

✎  Beitrag: Jakob Ioannidis, Regina Wiesinger

Über Ursprung, Geschichte und Gefahren des Nationalismus. Der Nationalismus ist kein Auslaufmodell.

Aktuell gibt es weltweit circa 200 unterschiedliche Nationalstaaten, die die Basis und Voraussetzung für die politische Legitimierung der Staatsgewalt bilden1. Darüber hinaus leben viele Minderheiten oder Ethnien in Staaten, die entweder friedlich oder mit Mitteln der Gewalt davon träumen einen eigenen Nationalstaat gründen zu können. Erinnert sei hier an die Kurden in der Türkei, den Basken in Spanien oder den Palästinensern in Israel. Es gäbe noch unzählige andere Beispiele. Der jüngste Staat ist gerade einmal 18 Jahre alt. Er entstand 2005 als sich der Südsudan vom Sudan2 trennte. Die Trennung und Unabhängigkeit brachten den Menschen im neu entstandenen Staat aber leider keine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Das Vaterland ist also kein Garant für Wohlstand, Gerechtigkeit und Frieden. Trotz zunehmender Globalisierung sind die Idee und Bedeutung des Nationalstaates sowie die Bindung an diesen für viele Menschen ungebrochen gültig.

Die Europäische Union ist im Gegensatz zum Nationalstaat leider viel weniger attraktiv, da sie den BürgerInnen Europas offensichtlich zu wenig Identifikationsmöglichkeiten bietet. „Wir wünschen uns zwar die Vereinigten Staaten von Europa, dies ist aber ein Elitenprojekt von Personen, die sich auch in ihrem Alltag gerne auf dem internationalen Parkett bewegen“, wie der Historiker Sönke Neitzel konstatierte3.  

EU Fahne Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle: Die Europafahne, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic

 

Wir halten also fest: Nationen und Nationalstaaten sind eine unumstrittene Tatsache, eine Realität, auch in der Welt des 21.Jahrhunderts, ebenso verhält es sich mit dem Nationalgefühl und dem Nationalismus, denn beide stellen noch immer eine ernstzunehmende politische Kraft in Europa und weltweit dar,  die moderne Demokratien vor enorme Herausforderungen stellen.

UdSSR Physikal. Karte Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle: Physische Karte der ehemaligen Sowjetunion (UdSSR), Perconte, Public domain, via Wikimedia Commons

Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1990 kehrte auch der Nationalismus zurück nach Europa4. Auf dem Boden ehemaliger kommunistischer Staaten, wie zum Beispiel Jugoslawien oder ehemaliger Teilgebiete der Sowjetunion entluden sich nationale Konflikte, die bis heute schwelen. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt aktuell sehr deutlich wozu ein übersteigerter Nationalismus des 21. Jahrhunderts fähig ist und welche globalen Auswirkungen er haben kann.

Ballhausschwur Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle: Ballhausschwur 20.Juni 1789, Jacques-Louis David, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein Blick zurück in die Geschichte: Seit wann gibt es Nationen, Nationalstaaten und ein Nationalgefühl?ller Anfang ist schwer...

Bis zur frühen Neuzeit gab es keine Nationalstaaten in unserem heutigen modernen Sinn. Es gab aber natürlich Völker und Staaten im vormodernen Europa. „Diese stellten allerdings noch keine Größe dar, die das politische Denken und Handeln bestimmten.“5 Erst die Aufklärung und die Französischen Revolution entwickelten die Ideen der Volkssouveränität, der Freiheit und Gleichheit aller Menschen sowie der Partizipation von Bürgern in einem Staat. So entstand und entwickelte sich in Frankreich ein spezieller Fachbegriff für dieses neue Phänomen, die sogenannte „Staatsnation“. Darunter versteht man eine politische Willensgemeinschaft. Das heißt: Eine Nation definiert sich darüber, was sie genau sein will. Der französische Historiker Ernest Renan behauptete, dass „die Existenz einer Nation in einer tagtäglichen Volksabstimmung bestehe“6. Es handelt sich also um eine Nation in der die Menschen aufgrund gemeinsamer Überzeugungen oder einer bewussten politischen Entscheidung zusammenleben wollen.

Im Unterschied zur Staatsnation entwickelte sich im mittel- und osteuropäischen Sprachgebrauch die Idee der Kulturnation7. Sie umfasste die Gesamtheit all jener Menschen, die durch eine gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte und Abstammung miteinander verbunden waren. 

Völkerschlacht bei Leipzig Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle:

Völkerschlacht bei Leipzig 1813, Künstler: Vladimir Moshkov  (1792–1839), 1815, Museum of Patriotic War 1812, Vladimir Moshkov, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Geburt des deutschen Nationalgefühls.

Die Geburt des deutschen Nationalgefühls geht hauptsächlich auf die Kriege gegen Frankreich und die Besetzung vieler Teilgebiete des damaligen „Deutschlands“ durch Napoleon zurück. Der gemeinsame Feind schweißte die Deutschen zusammen, die ja bis damals ein heterogenes Gemisch aus hunderten kleineren und größeren Königreichen, Fürstentümern und Herzogtümern im Heiligen

Römischen Reich Deutscher Nationen waren. Aus den erfolgreichen Freiheitskämpfen von 1813-14 gegen Frankreich entstand ein einheitliches Gefühl der Euphorie und der Wunsch nach einem geeinten deutschen Vaterland. Der Sieg in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 verstärkte das Gemeinschaftsgefühl und bildete schließlich die Grundlage für das darauffolgende Aufblühen des deutschen Nationalgefühls und des Nationalismus. 

Revolution 1848 Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle: Ereignisblatt aus den revolutionären Märztagen 18./19. März 1848 mit einer Barrikadenszene aus der Breiten Strasse, Berlin, aus „Erinnerung an den Befreiungskampf in der verhängnisvollen Nacht 18.-19. März 1848“, 1848–1850, unbekannter Autor, See page for author, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Entwicklung des deutschen Nationalismus im 19. Und 20. Jahrhundert

In der Zeit des Vormärz von 1815 bis 1848 war die nationale Bewegung in Verbindung mit dem Liberalismus eine durchaus moderne, fortschrittliche Strömung, die auch soziale und demokratische Grundsätze verfolgte, einen Verfassungsstaat, Pressefreiheit, Parlament und Bildung forderte8. Sie besaß eine anti-feudalistische Stoßrichtung9, die in der Revolution von 1848 zur Aufhebung der Grundherrschaft führte. Das große übergeordnete Ziel der 1848er Revolution war aber die Errichtung eines einheitlichen, bürgerlich-freiheitlichen deutschen Nationalstaates.

Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 wandelte sich der Charakter der nationalen Bewegung in Deutschland. Es zeigte sich eine deutliche Abkehr von demokratischen und liberalen Grundsätzen10 und eine Neuakzentuierung hin zu einem übersteigerten deutschen Nationalgefühl und der Kultivierung eines exklusiven Nationalismus, besonders nach dem Sieg über Frankreich 1870/71, der gepaart war mit der Abwertung anderer Nationen und der Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Nation. Konservative und antidemokratische Mächte instrumentalisierten das Nationalgefühl und die nationalen Bedürfnisse und Wünsche der BürgerInnen, um ihre eigenen machpolitischen Interessen durchzusetzen11. Besonders in der wilhelminischen Zeit (1888- 1918) und im Zeitalter des globalen Imperialismus erhielt der Nationalismus aggressive, fremdenfeindliche und rassistische Züge, die zu einer rücksichtslosen Eroberungspolitik und Ausbeutung der indigenen Völker in den Kolonien und der völligen Missachtung der Rechte anderer Nationen führte. Diese Form des Nationalismus hat schließlich wesentlich zum Ausbruch des ersten Weltkriegs beigetragen12.

Kaiserproklamation Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle:

Anton von Werner: Kaiserproklamation in Versailles, zweite Fassung 1882 als Wandgemälde für die Ruhmeshalle Berlin. 1944 nach Bombentreffer zerstört. Anton von Werner, Public domain, via Wikimedia Commons

In einer nochmals übersteigerten, pervertierteren Form finden wir die Ideologie des Nationalismus im Nationalsozialismus wieder.  Die Nation, das Volk, ist das höchste Gut und ist auch keinem allgemeingültigen Sittengesetz unterworfen. Im Interesse des Volkes ist alles erlaubt. (vgl. Hitler: „Recht ist, was dem Volke nützt“)13 Diese Art von „integralem Nationalismus“14 führte zur (…) völligen Aufhebung der individuellen Grund- und Freiheitsrechte des Individuums. Andersdenkende, oder Menschen, die nicht in das Konzept der „NS-Volksgemeinschaft passten, wurden ausgeschlossen, entrechtet, verfolgt und vernichtet. 

Reichsparteitag, Nürberg Paula Hist. Hintergrund

Bildquelle:

Nürnberg, Reichsparteitag

Reichsparteitag 1938 Der große Appell der SS, NSKK, NSFK und SS im Luitpoldhain. Übersicht während des Fahnenaufmarsches, Aufnahme: 10.9.38, Bundesarchiv, Bild 183-H12148 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

Die Ambivalenz des Nationalstaates

Der Nationalstaat und die Nationalstaatsbildung im 19. und 20. Jahrhundert haben aber auch eine positive Seite. So ging die Idee und Gründung von Nationalstaaten auch mit einer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung einher. Solange der Nationalstolz der eigenen Nation auch die Rechte anderer Nationen anerkannte, konnte er als durchaus fortschrittliche Bewegung unterdrückte Völker zur Unabhängigkeit bzw. Selbstbestimmung  führen14.

Die berechtigte Forderung und der Wunsch von Völkern nach Unabhängigkeit und Souveränität kann jedoch auch sehr schnell in Extremismus und Fanatismus umschlagen. Aus diesem Grund bleibt der „Nationalismus“ ein Anachronismus, dessen sich in erster Linie Rechtsextremisten bedienen und er kann deshalb keine vernünftige Kategorie für Demokraten sein, weil unter seinem Banner Europa und die Welt zweimal in furchtbare Katastrophen gestürzt wurden.15 

Bildquelle: Zerstörter Reichstag nach Machtübernahme der Sowjets, 3. Juni 1945, No 5 Army Film & Photographic Unit. Hewitt (Sgt)Post-Work: User:W.wolny, Public domain, via Wikimedia Commons

Quellennachweis:

  1. Die Angaben stammen aus dem Video: Der rote Faden: Wann ist man ein guter Patriot – und wann ein böser Nationalist? https://www.youtube.com/watch?v=oFWa8oXFOQ4
  2. ebd.
  3. Geschichte betrifft uns, Nationalismus und nationale Identität im 19. Jahrhundert, Hrsg. Myrle Dziag- Mahler, Der Historiker Sönke Neitzel in einem Interview über nationale Identität und Patriotismus, Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen, 2009, S.6
  4. Martin Gosch, Nationalismus und nationale Identität im 19. Jahrhundert, „Was ist des Deutschen Vaterland?“ aus Geschichte betrifft uns, Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen, 2009 S. 1
  5. Martin Gosch, Nationalismus und nationale Identität heute, aus Geschichte betrifft uns, Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen, 2009 S. 4
  6. Horizonte II, Geschichte für die Oberstufe, Hrsg. Frank Bahr, Welche Rolle spielt der Nationalismus in der Geschichte? Westermann Verlag, Braunschweig, 2006, S.156
  7. Martin Gosch, Nationalismus und nationale Identität heute, aus Geschichte betrifft uns, Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen, 2009 S. 4
  8. ebd.
  9. Horizonte II, Geschichte für die Oberstufe, Hrsg. Frank Bahr, Welche Rolle spielt der Nationalismus in der Geschichte? Westermann Verlag, Braunschweig, 2006, S.156
  10. ebd.
  11. ebd.
  12. ebd.
  13. Martin Gosch, Nationalismus und nationale Identität heute, aus Geschichte betrifft uns, Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen, 2009 S. 4
  1. ebd.
  2. Rudolf van Hüllen, Was ist Nationalismus?, Extremismus, Unsere Demokratie muss wehrhaft und wachsam sein, Rechtsextremismus, Konrad Adenauer Stiftung, https://www.kas.de/de/web/extremismus/rechtsextremismus/was-ist-nationalismus, Stand: 28.06.2023

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