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Die Projektleiterin, Regina Wiesinger, über das Projekt „DSA erinnert“
Was bedeutet „DSA erinnert“? Wie nähert man sich der Vergangenheit an?
„Die DSA erinnert sich an ihr dunkelstes Kapitel: An die Zeit des Nationalsozialismus und der deutschen Besatzung in Griechenland. Dazu war eine umfangreiche Quellenforschung in unserem Schularchiv notwendig. Unsere Hauptquellen waren also Primärquellen, sprich handschriftliche Dokumente damaliger SchülerInnen. Anhand der Reifeprüfungsaufsätze, der Lebensläufe und der Gutachten der ehemaligen SchülerInnen der Deutschen Schule Athen, arbeiten wir aus unserer heutigen Perspektive die Geschichte unserer Schule auf. Um die Schriftstücke, Gedanken und Überlegungen der damaligen SchülerInnen richtig zu verstehen und einordnen zu können und unsere Website mit genügend Hintergrundinformationen auszustatten, haben wir auch wichtige geschichtliche Fakten und Zusammenhänge recherchiert, mit denen wir sowohl die griechische als auch die deutsche Geschichte besser verstehen und darstellen können. So wollen wir erzielen, dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät, sondern immer im Gedächtnis bleibt und weitererzählt wird.“ (Ilektra Mavridi, Alexandra Iliana Dimitriadi)
Beiträge von Elena Koumentakou und Regina Wiesinger über die Schularchivrecherche, digitales Storytelling, Oral History, Schülerbegegnungen und vieles mehr….
✎ Beitrag: Regina Wiesinger
„DSA erinnert“
Das Schularchivprojekt der DSA findet im Rahmen eines vom Auswärtigen Amt und der Zentralstelle für Auslandsschulwesen für alle deutschen Auslandsschulen ausgeschriebenen Wettbewerbs statt, der dazu aufruft, sich mit der eigenen Schulgeschichte in historisch schwierigen Zeiträumen zu beschäftigen und dabei auch die Verstrickung der Schulgeschichte mit der Geschichte des Gastlandes darzustellen. Der Wettbewerb „Erinnern für die Gegenwart“ wird vom Auswärtigen Amt gefördert und von der Zentralstelle für Auslandsschulwesen in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung sowie der Stiftung Erinnerung-Zukunft-Verantwortung durchgeführt. „Erinnern für die Gegenwart“ steht unter der Schirmherrschaft des Bundesaußenministers Heiko Maas.
„Wir wollen wissen, wie unsere Schule vor 80 Jahren funktionierte, welche Vorstellungen und Ideen die Schule prägten und wie SchülerInnen und LehrerInnen dachten und handelten.“ So beschreiben die SchülerInnen des Projekts die große Leitfrage ihres Vorhabens.
Bildquelle: Recherche in der Bildungsgeschichtlichen Bibliothek, Dezember 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Lernen durch Nachforschen und Nachfragen
Dreizehn SchülerInnen der DSA stellen sich ihrer Schulgeschichte in einem historisch schwierigen Zeitraum, dem Nationalsozialismus und der deutschen Besatzungszeit in Griechenland. Dazu erforschen sie das Archiv der DSA aus dem Zeitraum 1933-1944. Die zahlreichen Schüler- und Lehrerakten, Einträge in die Mitteilungsbücher sowie Konferenzbeschlüsse aus der Zeit erlauben einen lebendigen Einblick in das Innenleben der „DSA unterm Hakenkreuz„. Die Dokumente geben Aufschluss sowohl über den familiären Hintergrund der SchülerInnen bzw. der LehrerInnen, über den gesellschaftlichen Status der Eltern und deren Motive, ihre Kinder an die damalige DSA zu schicken, als auch über die politischen Einstellungen der Schüler- bzw. LehrerInnen. Die damaligen SchülerInnen berichten von ihren Träumen und Zukunftsvorstellungen, aber auch von ihren Ängsten und Sorgen in den Wirren des Zweiten Weltkrieges. In den Lehrerakten erfahren wir von den dramatischen Lebensumständen in dem vom Dritten Reich besetzen Griechenland. Es ist der Blick der Besatzer auf die Besetzten.
Bildquelle: Freie Universität Berlin, Dezember 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Beschreibung, Einordnung, Beurteilung und Darstellung
Sechs SchülerInnen und fünf LehrerInnen der damaligen DSA wurden zu diesem Zweck aus dem Schularchiv sorgfältig ausgewählt, während Lebensläufe, Reifeprüfungsaufsätze, Gutachten, persönliche und dienstliche Korrespondenz der LehrerInnen mit dem Schulleiter oder dem Auswärtigen Amt untersucht und historisch kontextualisiert wurden. Eine kritische Annäherung und Auseinandersetzung mit jeder/m SchülerIn oder LehrerIn der damaligen DSA erfolgte durch die Abfassung kreativer Schreibaufträge. Die für unsere Nachforschung genutzten historischen Originaldokumente sind der/dem NutzerIn im Archiv der Website zugänglich.
Die narrative Komponente des Erzählens und Darstellens der Einzelschicksale und Lebensumstände, der Gedankenwelt und der Handlungen der Akteure im historischen Geschehen wird durch das Medium Film unterstützt und vergegenwärtigt. So entstanden 12 Kurzvideos zu den Lebensläufen und Reifeprüfungsaufsätzen der damaligen SchülerInnen bzw. zu Berichten und persönlichen Briefen der damaligen LehrerInnen.
Lernen durch Interviews
Aufarbeitung und Erinnern geschieht auch durch Interviews mit ehemaligen SchülerInnen der DSA. Von den insgesamt fünf geplanten Interviews mit Zeitzeugen konnten wegen der Corona-Pandemie nur zwei durchgeführt werden.
Bildquelle: Gespräch mit Herrn Fotiadis-Negrepontis, ehemaligem Schüler der DSA, November 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Zielsetzung des Projekts und Projektprodukts
Ziel der SchülerInnen des Projekts ist es, die Geschichte der DSA in dieser historischen Epoche neu zu erzählen und sie der Schulgemeinde durch eine von SchülerInnen für SchülerInnen gestalteten Website zur Schulgeschichte der DSA im Zeitraum der deutschen Besatzung 1941-1944 zugänglich zu machen. Die Website „DSA erinnert“ entstand in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin, die die technischen Möglichkeiten dafür bereitstellte und die Website entwickelte und gestaltete.
Die Projektergebnisse auf unserer Website werden der interessierten Öffentlichkeit, der Schulgemeinde, den SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern der DSA bereitgestellt werden.
Bildquelle: Lernort, Anne-Frank-Zentrum, Dezember 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Digitale Vermittlung von Geschichte und Oral History
Das Projekt „Memories of the Occupation in Greece“ (MOG) der Freien Universität Berlin ist ein wichtiger Kooperationspartner in diesem Projekt. Das FU-Projekt MOG begleitet und unterstützt das Schularchivprojekt besonders unter dem Aspekt der Vermittlung von Geschichte in digitaler Form und durch ihre reichhaltig und langjährige wissenschaftliche Beschäftigung und Erfahrung mit der Oral History. Interviews mit ehemaligen SchülerInnen der DSA bilden daher ein zentrales Kernelement bei der Aufarbeitung der Schulgeschichte.
Mit über 90 lebensgeschichtlichen Interviews von griechischen ZeitzeugInnen der deutschen Besatzungszeit in Griechenland ermöglicht die Nutzung des umfangreichen Zeitzeugenarchivs „Memories of the Occupation in Greece“ (MOG) eine sehr authentische und unmittelbare Annäherung an die Zeit der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland. Die vielfältigen Erfahrungen und Erinnerungen der ZeitzeugInnen an diese Zeit sind für die Auseinandersetzung der SchülerInnen mit ihrer eigenen Schulgeschichte von entscheidender Bedeutung, da die Schulgeschichte der DSA nicht losgelöst von den Schrecken der Besatzungszeit betrachtet und untersucht werden kann und darf.
Bildquelle: Bundesarchiv, Dezember 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Lernen durch Begegnungen
Unsere beiden Partnerschulen, das Lyzeum Distomo und die Fritz-Karsen-Schule in Berlin, schaffen die Voraussetzungen für eine lebendige Begegnung zwischen deutschen und griechischen SchülerInnen durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als Grundlage für eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft. Die Schülerbegegnungsprojekte mit griechischen Märtyrergemeinden haben bereits eine lange Tradition an der DSA und reichen in ihren Anfängen bis in das Jahr 1996 zurück. Das Projekt „DSA erinnert“ ist die logische Fortsetzung dieser langjährigen Bemühungen gemeinsamer Aufarbeitung der Geschichte beider Länder. Die Verbindung von Erinnern und Aufarbeitung der Geschichte in Begegnungsprojekten ermöglicht es den SchülerInnen zu verstehen, was ihnen die Vergangenheit heute noch zu sagen hat und wie es gelingen kann, die Erinnerung zu bewahren, aus ihr zu lernen und mit Hilfe dieser Erkenntnisse die demokratischen Strukturen der europäischen Gesellschaft von morgen mitzugestalten und zu prägen.
Bildquelle: Workshop Freie Universität Berlin, Dezember 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Die Bildung der Arbeitsgruppe „DSA erinnert“ mit Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 10 und 11 der Deutschen Schule Athen signalisiert den Beginn der systematischen Erforschung und der kritischen Auseinandersetzung mit dem unveröffentlichten Schularchiv aus dem Zeitraum 1936–1944, die anlässlich unserer Teilnahme an dem Schulwettbewerb „Erinnern für die Gegenwart“ erfolgte.
Ein Beitrag von Elena Koumentakou über die didaktischen und methodischen Herausforderungen im Schularchivprojekt.
Aus dem Griechischen: Chara Antonopoulou
✎ Beitrag: Elena Koumentakou
Ein paar Worte zu den digitalen Erzählungen
Im Rahmen unseres Projekts haben wir als Lehrkräfte die pädagogischen Vorteile gesehen, die aus der gezielten Auseinandersetzung unserer SchülerInnen mit der historischen Vergangenheit der DSA hervorgehen. Durch diesen Prozess wurden wir auch mit einer Reihe interessanter Herausforderungen konfrontiert. Ich nenne hier einige Beispiele davon: Aus wie vielen SchülerInnen sollen die jeweiligen Untergruppen bestehen und nach welchen Kriterien werden jedes Mal diese Gruppen gebildet? Mit welchen Schüler- und Lehrerarchiven der Schule aus der Zeit 1933-1944 sollen wir uns zu Beginn des Projekts beschäftigen und welchen Gebieten werden wir besondere Bedeutung beimessen? Wie organisieren wir im Rahmen der geplanten Interviews den Kontakt unserer SchülerInnen zu den Zeitzeugen? Wie sollen unsere wöchentlichen Treffen so vorbereitet werden, dass unsere SchülerInnen einerseits ihre vorhandenen geschichtlichen Kenntnisse nutzen und andererseits ihr Wissen über die historischen Gegebenheiten der Zeit anhand geeigneter historischer Quellen vertiefen können? Wie setzen wir am besten moderne technische Mittel ein? Wie schaffen wir die geeigneten Rahmenbedingungen für eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit zwischen den SchülerInnen der Deutschen Schulen Athen und den SchülerInnen aus Distomo, aber auch jenen der Fritz-Karsen-Schule? Wie nutzen wir dabei die wertvolle Erfahrung, die die Kollegin und Projektleiterin, Frau Regina Wiesinger, bisher gemacht hat?
Orientierung an Ausdrucksformen der SchülerInnen
Zahlreich und fruchtbar sind die Fragen, die uns Lehrkräfte beschäftigen, insbesondere wenn sie im Rahmen einer fruchtbaren Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder aufgeworfen werden. Dabei suchte und sucht die Gruppe jedes Mal nach dem geeigneten pädagogischen Rahmen, mit dem Ziel, eine Vielfalt an Schüler-Kompetenzen zu fördern und die Talente der SchülerInnen zu entfalten. Besonderes Interesse hatte für mich persönlich auch die Frage der SchülerInnen nach der Art der Präsentation des fertig gestellten Materials. Uns beschäftigten Fragen zur Darstellungsweise der Schüler- und Lehrerporträts der Schule aus dem Zeitraum 1933-1944 sowie zur Struktur der interaktiven Webseite. Mit der wichtigen Unterstützung von Professor Nicolas Apostolopoulos der Freien Universität Berlin wurden zu Beginn des Projekts zahlreiche Gruppentreffen dieser Problematik gewidmet. Wir gaben unseren SchülerInnen Beispiele aus ähnlichen Projekten, damit sie sich mit diesen auseinandersetzen können; wir hörten ihren Ideen und Vorschlägen, ihren Bedenken, ihren Ängsten und Sorgen genau zu. Das, was wir schließlich heraushörten, war ihr grundlegendes Bedürfnis, sich unter Anwendung der Mittel, die sie auch in ihrer alltäglichen Kommunikation benutzen, auszudrücken: Sprache, Bilder, Musik. Fasziniert von der Kombination der traditionellen mündlichen Geschichtserzählung mit den Mitteln der modernen digitalen Technologie wie Computer, Kamera, Aufnahmegeräte und Telekommunikationsmöglichkeiten engagierten sich unsere SchülerInnen aktiv beim Versuch, die Ergebnisse des Forschungsprojekts digital wiederzugeben.
Bildquelle: DSA, September 2019, Fotoarchiv, „DSA erinnert“.
Digitales Storytelling
Der multimediale und vielschichtige Umgang mit den Erzählungen mithilfe digitaler Mittel wird im Unterrichtsprozess mit dem Begriff „digitales Storytelling“ (englisch „digital storytelling“) beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Praktik, die den narrativen und digitalen Inhalt inklusive Bilder, Ton und Videos vereint, sodass ein Kurzfilm mit starken emotionalen Elementen entsteht.
Nach Untersuchung der einschlägigen Literatur konzentrierten wir uns auf die Tatsache, dass digitale Erzählungen ihre Kraft aus genau dieser Kombination von Bildern, Musik sowie mündlicher und schriftlicher Erzählung schöpfen und somit den Darstellern und den Situationen eine andere Dimension verleihen, so der Verband für Digitales Storytelling (Digital Storytelling Association). Interessant war außerdem die Information, dass der Begriff „digitales Storytelling“ erstmalig im Jahr 1990 von dem Filmemacher Ken Burns in seinem Dokumentarfilm The Civil War verwendet wurde, in dem für die Präsentation der Geschichte Amerikas die Erzählperspektive der Ich-Form in Verbindung mit Fotos, gefilmten Szenen und Musik gewählt wird[1]. Im Einklang mit der modernen Forschung (Robin, 2008) sind historische Dokumente, die Ereignisse der Vergangenheit untersuchen und deren Verständnis erleichtern, digitale Geschichte.
Bildquelle: DSA, September 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.
Auswahl des Begleitmaterials
Im Rahmen dieses Prozesses und angesichts einer festen Erzählstruktur, die uns jedes Mal von den schriftlichen Archivdokumenten der Schule vorgegeben wurde, stellten wir das geeignete Foto-Begleitmaterial zusammen. Für die Auswahl der Fotos standen uns nicht nur das Fotoarchiv der DSA und das der Alumni zur Verfügung, sondern auch Bildmaterial aus unserer Kooperation mit dem Benakis-Museum, der Öffentlichen Rundfunkanstalt Griechenlands (ERT) und dem Sammler Vyron Mitos. Ergänzt wurde natürlich das Bildmaterial durch die vorsichtige Suche nach Fotos im Internet, die immer unter Berücksichtigung der Urheberrechte erfolgte. In ähnlicher Weise wurde auch die Musik ausgewählt. Die Grundlage dafür bildeten sowohl persönliche Kompositionen des hervorragenden Musikers und Kollegen Roland Hoffmann als auch Musik aus dem Internet. Das alles wurde mit der wertvollen Unterstützung des Sozialanthropologen und Filmemachers Spyros Geroussis verwirklicht.
Ausblick
Da die systematische Fortsetzung dieses Unternehmens angestrebt wird, ist die Reise in die Geschichte unserer Schule noch nicht abgeschlossen. Unser Ziel ist es, diesen Versuch fortzusetzen, um so auch anderen SchülerInnen und Lehrkräften der Schule die Möglichkeit zu geben, an diesem Prozess teilzuhaben, der ihnen nicht nur reichhaltige Erfahrungen bescheren, sondern –um es mit den Worten unseres Dichters Konstantinos Kavafis auszudrücken– auch „die schöne Reise…“[2] ermöglichen wird.
Bildquelle: Gespräch mit Herrn Mavridis, ehemaliger Schüler der DSA, September 2019, Fotoarchiv „DSA erinnert“.