Lehrer Lichtenstein 4 Hintergrundinformationen

Jüdisches Exil in Griechenland

Weihnachten 1935 stand das Thema Emigration auf die Tagesordnung der Familie Wohl. Sohn Fred, 1914 in Baden-Baden geboren, war arbeitslos geworden. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmannsgehilfen in der Buchhaltung eines Unternehmens, war er nach Frankfurt zu seinen Eltern gezogen. Man könne einen Juden nicht länger beschäftigen, hieß es seitens der Firmenleitung. Aus dem gleichen Grund wurde es ihm verweigert, eine Banklehre anzutreten. (…) Viele Juden in Deutschland waren damals in einer ähnlichen Situation.“

Mit dem Thema Emigration kam (…) Athen ins Spiel. Hier lebte bereits seine Schwester Ilse, die 1933 als Au-pair-Mädchen nach Griechenland gegangen und nach einem Jahr als Haus- und Kindermädchen bei einer reichen Familie auf einer der Ionischen Inseln in die Hauptstadt gezogen war und ihren Lebensunterhalt mit Deutschunterricht bestritt. Am Passamt ließ er sich einen Pass ausstellen mit der Begründung in Griechenland Archäologie studieren zu wollen.

Der Grund war (…) vorgetäuscht (…) Ein Reisepass wurde ausgestellt, ohne den Vermerk `Jude´, wie es damals schon einige Monate später üblich war. (…)

Im Februar 1936 landete der damals 21-jährige Wohl mit einem Schiff von Marseille aus in Griechenland. Die Einreise war noch kein Problem. (…)

In Athen lebte Fred bei seiner Schwester Ilse, in einer 1-Zimmer-Wohnung unter dem Dach. (…)

Arbeitsmöglichkeiten ergaben sich durch die Bekanntschaften der Schwester – mal für einen jüdischen Stoffhändler oder bei einer einheimischen Im- und Exportfirma, mal im Ingenieurbüro eines Herrn Pesnikides, für den Fred Wohl bald regelmäßig tätig war.(…)

Niemals wurde er gefragt, ob er eine Arbeitserlaubnis hatte, die er die ganzen drei Jahre nicht hatte.(…)

Einige Mal wurde er erwischt und musste zur Polizei. Aber die Leute, bei denen er arbeitete, haben ihn schnell durch Schmiergelder freibekommen.(…) Die galt auch für die Aufenthaltserlaubnis, die immer nur für sechs Monate ausgestellt.(…)

Laut Wohl gab es damals in Griechenland kein Asylrecht (…)

Die Zahl der Ausländer damals in Athen, darunter auch jüdische Flüchtlinge war Wohl unbekannt. (…) Er schätze sie auf „einigen Hundert“, und nachdem er Athen verlassen hatte, bezeichnete er selbst die Zahl von 500-600 Emigranten noch als „sehr hoch geschätzt“. Soweit hatte Griechenland als Ziel ausgewanderter bzw. vertriebener Juden aus dem Machtbereich der Nazis in der Tat keine bedeutende Rolle gespielt, aber völlig „ohne Bedeutung für die Emigration“ – so die verbreiteten Einschätzung in der Fachliteratur – war das Land denn doch nicht.

Über das Flüchtlingsleben in Athen hatte Fred Wohl im Laufe des Jahres 1938 eine mehr als 100-seitige Erzählung verfasst.(…)

Ein großer Teil der nach Athen gelangten Emigranten hatte Arbeit finden können, „und es war – paradox genug – dem gesteigerten Handel Griechenlands mit Deutschland zu verdanken, wenn sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen konnten“. Das galt auch für Fred Wohl, als er 1937 bei der Firma `Spyros Tsangaris´ zu arbeiten begann, die ausländische und damit auch deutsche Zeitungen und Zeitschriften in Griechenland vertrieb. Zum Beispiel auch das `Berliner Tageblatt´ mit täglich 50 Exemplaren.

Von Judenfeindschaft oder Antisemitismus erzählt F. Wohl nichts. Davon habe er in den ersten Jahren in Griechenland nie etwas verspürt. Aber das war nur die Sicht aus Athen.

Das änderte sich nach der Errichtung der Diktatur Metaxas am 4.8.1936 zunächst nicht.(…)Der Staat wolle die Juden „wie alle anderen Kinder Griechenlands“ behandeln, versprach Metaxas. Das wurde in Nazideutschland – trotz des Beifalls für den Diktator und Bündnisgenossen – mit einigem „Befremden“ auf­genommen, zumal Griechenland nach wie vor auch jüdischen Flüchtlingen Zuflucht gewährte.

Von der „relativen Toleranz“ bis zum „Damoklesschwert“ der Ausweisung

Wenn heute durchweg hervorgehoben wird, dass bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wenn nicht gar bis 1941, die griechischen Juden „unter der Diktatur Metaxas trotz dessen unverhohlener Bewunderung für NS-Deutschland ein Leben in relativer Toleranz genossen“ hätten, so gilt dies nicht gleichermaßen für die jüdischen Flüchtlinge, die sich seit 1933 nach Griechenland retteten, ohne es nur als Sprungbrett nach Palästina nutzen zu wollen. Fred Wohl zufolge fingen die Schwierigkeiten im Laufe des Jahres 1938 an und wurden recht schnell existentiell. (…) Es kam zu ersten Festnahmen von Emigranten, die keine Arbeitserlaubnis hatten oder denen die Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert worden war, und es machte sich „panische Angst“ breit. „Das Damokles-Schwert hing über allen Emigranten in Griechenland, und es musste früher oder später auf jeden von ihnen hinunterfallen.“

Diese zunehmend restriktive Politik war nicht so sehr innenpolitisch motiviert, etwa aufgrund der vorrangigen Aufnahme und Versorgung von griechischen Heimatvertriebenen, zuletzt von jenen, die die Sowjetunion ausgebürgert hatte. Vielmehr folgte es außenpolitischen Erwägungen oder Rücksichtnahmen: nämlich „kein Ausländerproblem zu schaffen und nicht Berlin zu provozieren“. Und seit der Diktatur Metaxas war Nazideutschland zunehmend in Griechenland präsent. Dies hatte Fred Wohl, nachdem er schon bei `Spyros Tsangaris´ mit einem dort angestellten Deutschen mit NSDAP-Abzeichen am Revers konfrontiert war, vielfach beobachten können: angefangen von der Nazi-Propaganda in Athen bis hin zu den „Verbindungen zwischen der Fremdenpolizei und der deutschen Gesandtschaft“ und – „in Handelskreisen ein offenes Geheimnis“ – jenem Auskunftsbüro, das „nur dem Zweck diene, herauszufinden, in welchen griechischen Unternehmen Juden eine Rolle spielten“, um jene dann aufzufordern, die betreffenden Personen zu entlassen, „wenn man einem schädlichen Einfluss auf seine Geschäftsverbindungen vorbeugen will“.(…)

Dementsprechend zufrieden äußerte sich das NS-Regime: „In Nordamerika, in Südamerika, in Frankreich, in Holland, Skandinavien und Griechenland – überall, wohin sich der jüdische Wanderungsstrom ergießt, ist bereits heute eine deutliche Zunahme des Antisemitismus zu verzeichnen. Diese antisemitische Welle zu fördern, muss eine Aufgabe der deutschen Außenpolitik sein“, so heißt es in der Denkschrift `Die Judenfrage als Faktor der Außenpolitik´ vom 25.1.1939. Je größer der Zustrom auswandernder Juden, „desto stärker wird das Gastland reagieren“, da man überall zu der „gereiften Erkenntnis“ gelangen würde, „welche Gefahr das Judentum für den völkischen Bestand der Nationen bedeutet“ – und „desto erwünschter ist die Wirkung im deutschen propagandistischen Interesse.“ Ein Jahr später schrieb der schon zitierte Gaitanides: „Gegen eine deutsche Emigrantenflut hat sich Griechenland sehr energisch und erfolgreich zur Wehr gesetzt.“

Von dieser Politik waren die griechischen Juden zunächst nicht weiter tangiert. Sie „konnten ruhig bleiben“, wie Fred Wohl schrieb. „Die Freundschaft des Diktators mit führenden Juden und seine Zusicherungen waren Garantie genug, dass sich in Griechenland nie das ereignen würde, was in Mitteleuropa geschehen war. Die ausländischen Juden aber fühlten, wie ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Sie waren vogelfrei. Griechenland schien auf dem besten Wege, ein Staat in der Reihe derer zu werden, die den gehetzten Opfern deutscher Demagogie keine Unterkunft mehr boten.“ Da schien es kein Widerspruch, dass die griechische Regierung den 1938 anschwellenden Zustrom jüdischer Flüchtlinge, die von hier aus den rettenden Sprung nach Palästina versuchten, keine Hindernisse in den Weg legte; die waren ja keine Einwanderer. Zwar „Geheimfrachten“ auf kleinen, bisweilen nicht ganz seetüchtigen Schiffen quer durch die Ägäis, sei dies allgemein bekannt gewesen. Ebenso der Fahrpreis und die Orte, von wo die Flüchtlingsschiffe ablegten, kleine Häfen auf der Insel Euböa. Selbst dass zionistische Organisationen aktive Fluchthilfe betrieben und damit bewusst den für Palästina damals gültigen Einwanderungsstopp durchkreuzten, war Fred Wohl zufolge „ein offenes Geheimnis“. In Saloniki habe man sogar, wie er damals hörte, „ein Lager zur vorüber­gehenden Unterbringung von Flüchtlingen errichten“ wollen, „bis diese Opfer deutscher Kultur nach Palästina weiterbefördert werden könnten“.(…)

Fred Wohl hatte auch später nie einen Überblick bekommen, wohin es die jüdischen Flüchtlinge in Athen verschlagen hatte, die wie er damals Griechenland verlassen mussten. Er kannte oder hörte nur von Einzelnen, die in die Türkei gingen oder ein Visum für eines der lateinamerikanischen Länder ergattern konnten. Doch vielen blieb nichts anderes übrig als der Weg nach Palästina.

Jüdisches Exil in Griechenland und Zypern 1936–1941,https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/juedisches-exil-in-griechenland-und-zypern-1936-1941/gekürzt, aufgerufen am 11.11.2019

Schule im „Dritten Reich“

Die Schule spielte im Rahmen der vom NS-Regime angestrebten Durchdringung aller Lebensbereiche und der politischen Sozialisierung und Ideologisierung der Jugend keine so bedeutsame Rolle wie die Hitler-Jugend (HJ). Die erste Phase der NS-Schulpolitik von 1933 bis 1936 galt vorrangig der Machtkonsolidierung und der „Gleichschaltung“ des Lehrkörpers. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 schufen sich die Nationalsozialisten eine formale Rechtsgrundlage zur Entlassung von jüdischen, sozialistischen und pazifistischen Lehrern und Schulleitern. Wenig später wurde mit dem am 25. April 1933 erlassenen „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ die „Rassenzugehörigkeit“ als Kriterium für den Zugang zu höheren Schulen und zum Hochschulstudium eingeführt.

Der Anteil jüdischer Schüler und Studenten an der gesamten Schüler- und Studentenschaft durfte nun nicht mehr den jüdischen Anteil an der Gesamtbevölkerung von knapp einem Prozent überschreiten. Daraufhin halbierte sich die Zahl jüdischer Schüler an den öffentlichen Schulen bis 1935, bevor sie nach der Pogromnacht von 1938 gegen Null tendierte.

Ab 1936/37 verstärkte das NS-Regime die ideologische Umgestaltung des Schulunterrichts. Zeitgleich zum „Kirchenkampf“ waren in erster Linie die „gesinnungsbildenden“ Fächer wie Deutsch und Geschichte Ziel der nationalsozialistischen Einflussnahme, der es um die Vermittlung von „vaterländischer Größe“ und von Heroismus ging. Der Geschichtsunterricht sollte sich auf die deutsche Geschichte und die der „nordischen Rasse“ beschränken. Im Biologieunterricht wurden „Vererbungslehre“ und „Rassenkunde“ eingeführt. Um das nationalsozialistische Ideal „körperlicher Ertüchtigung“ gegenüber einer geistig-intellektuellen Erziehung umzusetzen, erhielt der Sportunterricht eine erhöhte Stundenzahl. Die früheren Ideale klassisch-humanistischer Bildung wurden als „undeutsch“ abgelehnt. Neben den neuen ideologischen Inhalten prägten Rituale und NS-Symbole wie Hakenkreuze, Fahnen, Fahnenappelle, Hitlerporträts und Hitlergruß immer deutlicher den Schulalltag.

Trotz aller Maßnahmen des NS-Staats blieb die Schule in ihren Grundzügen eine weitgehend traditionelle Bildungsinstitution, die dem revolutionären Anspruch des NS-Regimes kaum gerecht wurde. Deshalb setzten die Nationalsozialisten den herkömmlichen Schulen „Eliteschulen“ wie die Adolf-Hitler-Schulen (AHS), die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napola) und die sogenannten Ordensburgen gegenüber.

Quelle: Lebendiges Museum Online, LeMo,Schule im  „Dritten Reich“, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/alltagsleben/schule, aufgerufen am 22.02.2020