Lehrer Lichtenstein 2 Liebesbrief

z.Z. Ragusa, 3./7.34

Liebes Gretlein,

Ich hätte dich so sehr gern vor meiner Abreise noch gesprochen. Ich war auch im Hause Diamantopoulos nach dir fragen, aber du warst noch nicht zurück. Du bist mir so nahegekommen, und ich hätte deinen lieben und klugen Worte noch so gerne auf den Weg genommen und dich so gerne noch einmal gestreichelt. Wer weiss nun, wann und wie wir uns wie- dersehen. Du wirst mich doch nicht vergessen, gelt? Es ist in der Zwischenzeit böse gekommen. Als du den Augenblick bei mir warst, konnte ich dir noch sagen, dass ich im nächsten Jahr in meiner Stellung bleibe. Nach 8 Tagen bin ich doch gekündigt worden, formalrechtlich noch gültig, menschlich weniger anständig, da man mir mündlich einen anderen Bescheid gegeben hatte, als man dann nach einer wohl politisch bewegten Schulratssitzung für notwendig hielt. Grund kein anderer als der „Arierparagraph“, da einer meiner Grossväter jüdisch war. Das habe ich dir wohl noch gar nicht gesagt. Ich hielt und halte es für unwesentlich. Es hat mir mein Selbstbewusstsein als Deutscher tangiert. Ich bin vielleicht etwas hochmütig. Ich habenie an eine Anwendung auf mich gedacht, und als Frontkämpfer trift das Gesetz auch auf mich nicht zu, aber eine __ Strömung, die päbstlicher als der Pabst ist, meine Stellung an der deutschen Schule nun doch für untragbar gehalten.

(verso) Es würde heute niemand wagen, für mich ein zutreten. Das ist etwas beschämend.Man hat nur soviel erreicht dass ich vorläu- fig noch an der Schule vollbeschäftigt bleibe, obgleich ich offiziell ent- lassen bin, aber auf monatliche Kündigung und nur vor- läufig, also bis auf unbestimmte Zeit im nächsten Schuljahr. Ich komme also noch wahrscheinliech nach Athen zurück, aber für wie lange, weiss ich nicht. Ich frag jedenfalls dann an dem _ und muss sehen, mir in Athen eine neue Zukunft aufzubauen. Wie schwer das ist, wenn man dazu noch Widerstände und unbegründetes Übelwollen erfährt, brauch ich dir nicht zu sagen, Gretlein. Deine Feinfühligkeit __(wie?) auch die unwägbaren Scheusslichkeiten, die so eine Lage für mich bei meiner schliesslich nicht groben seelischen Konstitution und meinem Gefühl für Reinlichkeit und menschliche Verhältnisse mit sich bringt. Ich hätte dich in den letzten Tagen schon(?) gebraucht, denn du wirst mich verstehen. Wann ich dann nach Athen komme, muss ich mein Häuschen(?)notgedrungen mit einem Kollegen
teilen, da es mir jetzt allein zu teuer wird, wo ich jeden Augenblick ohne ___dastehen kann. So wird zum Überfluss auch unserer beider Freiheit und Gemeinsamkeit ge- stört werden. Es ist schlimm in dieser Welt des Scheins. Bitte sprich vom Inhalt dieses Briefs nicht weiter. Schreibe mir aber nach Hause (Braunsberg Ostpreussen Fliessstrasse 113), Liebes ! Ich streiche dein liebes Haar und deine Brüstlein. Bleib mir gut, wenn du kannst, ich hab dich lieb! Arbeitest du gut ? wie gern wäre ich bei dir, Dein Ernst

(Braunsberg ist heute Braniewo, Polen)

Der Liebesbrief stammt aus dem Nachlass der Schweizer Malerin Marguerite Ammann, die 1934 in Athen weilte und mit Ernst Lichtenstein befreundet war. Frau Rohr-Stettler, Dipl. Restauratorin, die an einem Werkkatalog zum Werk der Schweizer Künstlerin arbeitet, hat uns freundlicherweise den Brief zukommen lassen.