Sehr geehrter Herr Greulich,
wir schicken Ihnen diesen Brief, da wir verschiedene Fragen haben.
Als Erstes würden wir gerne wissen, wie Sie den Krieg erlebt haben. Es ist erschütternd, dass Sie die Zeit des Krieges an unterschiedlichen Orten, nämlich in Polen, Frankreich und Ungarn. Gibt es eine bestimmte Erfahrung, die Sie damals gemacht haben, die Ihr Leben stark beeinflusst hat?
Überraschend ist für uns auch die Tatsache, dass Sie in den Schulferien Reisen von Griechenland nach Deutschland zu Ihrer Familie und dann zurück nach Griechenland unternommen haben, während in ganz Europa der Krieg tobte. Es ist für uns schlicht ergreifend unvorstellbar, dass man im Krieg reisen konnte. Auch die Erwähnung, dass Ihre Familie in Breslau heftigen Luftangriffen ausgesetzt war, stimmt uns sehr nachdenklich, vor allem die Tatsache, dass sie dieses Ereignis nur in einem Nebensatz erwähnen. Heißt das, dass der Krieg die Menschen schon so abgestumpft hatte, dass er zum Alltag gehörte? Waren Sie nicht jeden Tag vom Tod bedroht? Mussten Sie nicht jeden Tag Todesängste ausstehen? Hat es Sie nicht gestört, dass Millionen von Menschen jeden Tag an den Fronten ums Leben kamen?
Noch eine Frage wäre uns wichtig: Wieso wollten Sie an die Deutsche Schule Athen, um hier als Lehrer zu arbeiten? Gab es einen bestimmten Grund für diese Entscheidung? Uns wundert es, dass Sie mit keinem Wort die schreckliche soziale und wirtschaftliche Lage der griechischen Bevölkerung erwähnen, die unter dem Terror der deutschen Besatzungsherrschaft litten. Haben Sie nie die vom Hunger gezeichneten Gesichter der Athener gesehen, nie die Menschenschlangen der Hoffnungslosen vor den öffentlichen Suppenküchen, nie die Hungertoten auf den Athener Straßen?
Haben Sie jemals versucht, den leidenden Menschen zu helfen? Haben Sie jemals darüber nachgedacht, dass die deutschen Besatzer für das Elend und denTod tausender unschuldiger Griechen verantwortlich sind?
Gerne würden wir uns mit Ihnen darüber unterhalten. Leider leben wir in einer völlig anderen Zeit. Uns sind nur mehr Ihre Briefe und Dokumente erhalten geblieben, durch die wir Sie kennenlernen durften. Durch diese haben wir ein sehr verzerrtes und widersprüchliches Bild Ihres Charakters. Auf der einen Seite erkennen wir einen Familienmenschen wieder, einen Mann, der sich um seine Familie sorgt und sich sogar für sie aufopfert, in ein anderes Land zieht. Einen Lehrer, der seinen Alltag mit jungen Menschen verbringt. Trotzdem sehen wir auch den Soldaten, der mehrere Jahre an der Front gekämpft hat und von einer Ideologie überzeugt ist, die uns unmenschlich erscheint.
Mit Respekt,
Unsere Gruppe